: Dokumente einer Familienfeier
Machte der Hunger nach Bildern versessen auf Süßigkeiten und Junk food? Mit der Ausstellung „Stadtindianer“ im Potsdamer Waschhaus erinnert sich die Peripherie an das, was einst im Zentrum geschah ■ Von Katrin Bettina Müller
Pünktlich zur Eröffnung der Ausstellung „Stadtindianer“ zogen Blitz und Donner über das Waschhaus Potsdam. Kaum weniger schnell verrauscht als das Gewitter scheint die Euphorie, mit der vor knapp zwei Jahrzehnten die Wiederkehr der Malerei und das Aufblühen der Subkultur in den Bildern von Elvira Bach, Salomé, Luciano Castelli und Rainer Fetting gefeiert wurde. Was blieb, war am Abend der Eröffnung ein grauer Niesel, in dem man draußen um Bier anstand.
Denn die Verführungen zum Glamour, zu denen innen die Fotografien Rolf von Bergmanns und Luciano Castellis anstiften wollen, zünden nicht mehr. Sie wirken eher wie peinliche Jugendsünden, die heute durch die Schlichtheit der Selbstinszenierungen verblüffen: Ein wenig Kriegsbemalung, viel Sonnenuntergangslicht und Bewegungsunschärfe – schon waren die Stadtindianer Fetting und Castelli gebacken. Vielleicht beanspruchen diese Bilder nie mehr als ein Schillern zwischen Fake und ersehnter Authentizität. Heute erscheinen sie vor allem als Dokumente einer Familienfeier, deren Aufblähung zum urbanen Mythos vom wilden Leben recht erstaunlich ist.
In Berlin könnte eine solche Ausstellung heute wohl kaum stattfinden, als ob man sich der einstigen Begeisterung schämt. Tatsächlich hat der Kurator Erik Bruinenberg die Bilder der heute knapp 50jährigen nicht als Kunst der Gegenwart, sondern als ein Kapitel Geschichte ins Waschhaus nach Potsdam geholt. Für die Künstler ist diese rückwärtsgewandte Orientierung nicht gerade erfreulich, arbeiten sie doch seitdem weiter. Bruinenberg will die „Erinnerung an eine Aufbruchszeit“ beschwören, in der „nie mehr Graumalerei, dafür stürzende Engel, Mond, Nacht und Mord“ ein neues Lebensgefühl der Großstadt erweckten und bezeugten. Im schnellen Erfolg der Künstler vom Moritzplatz glimmt für die Potsdamer, die für ihr Kulturprojekt im Waschhaus noch immer keine Sicherheit haben, ein Hoffnungsfunke. Läßt sich nicht noch einmal aus den Nischen, die der wirtschaftliche Niedergang im Stadtbild hinterlassen hat, ein Gewinn an gemeinsamen Energien schlagen? „Wenig Geld machte noch kreativer“ steht nicht umsonst im Pressetext.
Das Abenteuer-Ambiente der Hallen von Bahnhofsgröße mit durchregnendem Dach, steilen Hühnerleitern und unebenen Böden, die mit Blick auf die Bilder stolpern lassen, ist der Herkunft dieser Malerei aus einer selbstorganisierten Kulturszene näher als ihre heutige Verwahrung in Galerien und Museen. Doch dieser Kontext aus Stadtumbau, Hausbesetzung, Punk trägt sie nicht mehr. Als ob der Preis für die Popularität, die sich die „jungen Wilden“ in einem bis dahin für die bildende Kunst unbekannten Ausmaß eroberten, das schnelle Verfallsdatum ihrer Kunst gewesen wäre.
Man wundert sich: Machte der vom trockenen Brot der Konzeptualisten erzeugte „Hunger nach Bildern“ wirklich so versessen auf Süßigkeiten und Junk food? Zu sehr wie aufgeklebte Werbeetiketten wirkt die gepriesene Radikalität: Stellt nicht in Salomés „Khomeini Kopfschuß“ (1981) allein der Titel eine Attitüde der Wut aus, während das Gemalte wie eine bunte Lumpenpuppe sich auf Lust an Farbe und Bewegung beschränkt? Die bleichen Nackten, die in Salomés „KaDeWe“ dekorativ an roten Fesseln hängen, mögen der Sadomaso-Szene zum Coming-out verholfen haben; ihre ornamentale Monumentalität ist auch ein sehr simples Bildmuster.
Vor allem die Eindimensionalität und Eindeutigkeit der Themen befriedigt kaum mehr. Etwas dürftig wirkt die malerische Ökonomie, die Riesenleinwände mit wenigen Gegenständen füllen ließ, besonders bei Elvira Bach. Die Eva, die mit Schlange und Telefon im Schoß, in ihrem Bild sitzt, wäre als kleine Comic-Heldin ganz passabel, doch der Figur folgt keine Geschichte. So wandelt man durch die Hallen wie zwischen den Kostümentwürfen für ein Theaterstück, das nicht mehr aufgeführt wird, oder den abgegessenen Dekorationen eines Künstlerfestes, zu dem man nicht eingeladen war.
Zweifellos ist es absurd, den Künstlern ihren schnellen Erfolg vorzuwerfen. Sie kamen einer Stadt, die ihre alten Mythen schon um und um gewendet hatte, gerade recht, und auch den Kunsthandel freute die schnell produzierte Ware, die so eindeutig nach Berlin roch und schmeckte. Fetting malte Fernsehturm und Mauer mit einer Intensität, als wären sie nie zuvor gesehen worden. Wer weniger die Klischees der damaligen Szene bediente, wurde auch nicht so mit Bekanntheit belohnt, wie Berthold Schepers, dessen Skulpturen aus den Masten von Peitschenlampen sich durch die Waschhaus-Hallen rüsseln und schlängeln. Selten gelang Galerien, Akademie und Künstlern, die sich eben noch mit einer Selbsthilfegalerie vorgestellt hatten, so die Bündelung ihrer Interessen. Trauriger stimmt, daß diese Energie nicht weiter getragen hat, sondern in Wiederholungen steckenblieb. Die ließen das beschworene Lebensgefühl in Ritualisierung erstarren.
Waschhaus Potsdam, Schiffbauergasse, bis 23.8., Mi.–So. ab 16Uhr
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