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Fingerballett für imaginäre Instrumente

■ Michael Schiefel sang und verfremdete im Jungen Theater den Jazz ganz wunderbar

Auf die Frage, ob denn hier und heute das Konzert eines gewissen Michael Schiefels stattfinden würde, meinte der verknitterte Zerberus am Einlaß des Jungen Theaters: „Schiefel – ja, Konzert – nein.“ Was aber soll schon anderes herauskommen als ein Konzert, wenn ein ausgebildeter Jazzsänger in Zusammenarbeit mit ein paar Soundmaschinen einen Abend bestreitet? Die Frage war nach zwei Stunden immer noch nicht anständig beantwortet. Glückselig war das Publikum dennoch.

Schiefel macht Musik wie einer, der den Jazz über alles liebt – und über seine Ritualisierungen lacht. Lockerheit, Coolness, Spontanität der Improvisation, Ausgelassenheit solange bis Bläsers Halsader schwillt und Klimperers Finger raucht: All jene Triebkräfte, mit denen der Jazz die Nachkriegsgeneration wachküssen wollte, fehlen bei Schiefel nicht nur, sondern werden systematisch persifliert. Sowohl stille Innigkeit als auch wildes Delirium präsentieren sich nicht als authentisch, sondern als Zitat, genauer, ein zerzaustes Zitat: Eine trauernde Hand verdeckt ein Auge – und vergißt das zweite; der Kopf fällt versenkungswillig auf die Schulter – und sieht wie verrenkt aus; Rhythmus bewegt den schlaksigen Körper – doch es ist eher ein Geschüttele als ein Grooven; ein wieselflinkes Fingerballett spielt auf imaginären Instrumenten, zum Beispiel auf einem Klavier – und die Stimme imitiert ein Saxophon. Egal ob Michael Schiefels weit um sich greift oder kopfhängend zusammenschnurrt: Vieles was er tut wirkt verlangsamt und komisch. Im Gespräch pocht er auf die Unterscheidung zwischen verachtendem Zynismus und liebevollem Humor. „Was ich tue ist echt und ehrlich.“ Vielleicht, weil es ehrlicher ist, mit vorgeformten Bewegunsmustern zu spielen als Unmittelbarkeit zu simulieren.

Nicht nur in seinem Auftreten, sondern auch in seinem Gesang arbeitet Schiefel dekonstruktivistisch. Klassische Jazzstereotypen schwimmen nicht mehr im musikalischen Fluß, sondern werden zerstückelt und isoliert. In den Pausen zwischen den einzelnen Bausteinen lauscht er seiner eigenen Darbietung hinterher, mal beglückt, mal erstaunt, mal belustigt. Da er mit Loops arbeitet, verfolgen seine Stücke oft eine Steigerungslogik. Meistens beginnt alles ganz unscheinbar, etwa mit ein paar Du-dei-da-dum-Silben; das unfehlbare Gedächtnis der Maschine wiederholt sie endlos; dann ein bißchen Bej-da-do; die Maschine schichtet sie darüber: Ganz langsam weitet sich der Klangraum. Und plötzlich ist Intensität da. Spröde, vorsichtig, zurückhaltend, durchdacht geht Schiefel nicht nur mit Form, sondern auch mit Stimme um. Volumen, Power, sentimentales Vibrato sind kein Dauerzustand. Im Gegenteil: Je rührender die Balladen werden, desto fragiler, gerader, getueloser wird der Ton.

Heutzutage, sagt Schiefel, geht es nicht mehr um Stil, sondern um Inhalte. Musiker definieren sich immer weniger über die Zugehörigkeit zu einer Jazz-, Punk-, Klassik-, Was-auch-immer-Gemeinde. Und so gönnt es sich Schiefel, postmodern zwischen den verschiedensten musikalischen Religionen hin- und herzusurfen. Konzepten der E-Avantgarde nähert er sich, wenn er nur seine Maschinen säuseln, zischen, knarzen läßt - als würde er den unhörbaren Gesang des leeren Raums hörbar machen. Kurz darauf imitiert er Jimi-Hendrix-Gitarre oder vermanscht einen vergessenen Hit der 80er Jahre von Nick Kershaw zu einem Technostück. Wenn er rappt, hört sich das an, als hätte Falco ein Schlafmittel genommen. Diese Gleichzeitigkeit von Schrillheit und Gelassenheit zieht sich durch alle Stücke .

Eigentlich fast überflüssig zu bemerken, daß Michael Schiefel auch in seinen – bluesigen – Texten im schwerelosen Raum zwischen Karikatur und tiefer Ergriffenheit schwebt: „Niemals, nie werde ich heiraten. Ich bin geboren für die Einsamkeit. Eng ist mein Bett, weit meine Welt.“ Vor allem sehr eigen und querständig. Vielleicht, Zerberus, war es ein Antitheater-Performance-Konzert. Aber das Eigene hat bekanntlich keinen Namen.

bk

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