Punk in der Version der Wasserverwaltung

■ Amerikatour, 3. Teil: Auf ein Neues analysiert Lars Reppesgaard, Gitarrero der Punkband ASE, den unergründ-lichen Kosmos amerikanischer Trinkgepflogenheiten, aber auch die politischen Hintergründe des Nahverkehrs

Anaheim, Kalifornien, 11. Juli

Vergebens warten Sänger Hanno und ich nach einem Tag Wellenreiten am Strand von Huntington Beach auf unseren lila Van. Die anderen sollten uns abholen, schließlich müssen wir um halb neun wieder irgendwo in diesem vor uns liegenden Moloch aus Shopping Malls, Reihenhäusern und endlosen Boulevards konzertieren.

Die Zeit verrinnt, vermutlich haben wir die anderen verpaßt, sie sind schon los. Kein Problem, denken wir, der 35er Bus fährt schnurgerade die Brockhurst Avenue nach La Palma rauf, in die Nähe des „Public Storage“, in dem wir rocken wollen. Nur: Es ist schon sieben Uhr. Linie 35 fährt nicht mehr, sondern nur noch die 9. Der Fahrer sagt, er würde uns mitnehmen, bis wir in die 29 umsteigen können. Die würde auch Richtung La Palma gehen und sogar jetzt noch verkehren.

Im Bus sind ein paar weiße Kids, aber vor allem Farbige und alte Leute, weiß und schwarz. Tatsächlich gibt es einen Grund dafür, daß in Orange County, dem Nachbardistrikt von Los Angeles, die Busverbindungen so schlecht sind, sagt uns ein alter Mann. „Orange County ist eine reiche Gegend, und sie will es auch bleiben. Wenn du dir kein Auto leisten kannst, hast du nach Ansicht der Stadtverwaltung hier nichts verloren und solltest lieber nach Santa Anna ziehen.“ Und ein anderer ergänzt: „Ich kann nicht mal ein Baseballspiel zu Ende sehen, denn um zehn Uhr fährt mein allerletzter Bus. Wenn ich Baseball sehen will, bleibt mir nur der Fernseher.“

Schon die Fahrt zur Umsteigestelle dauert eine Stunde. Wir haben keine Ahnung, wo wir sind und wie wir zum Konzertort kommen. Nur eines wissen wir: Es ist spät. Wer Termine hat, kann sie bei diesem Bussystem gleich absagen. 60 Dollar haben wir in der Tasche und sind fest entschlossen, diese horrende Summe irgend einem Taxifahrer in den Rachen zu werfen, da erspäht Hanno Musikinstrumente auf der Rückbank eines tankenden Autos. Den öffentlichen Nahverkehr haben die Amerikaner nicht erfunden, aber unkompliziert sind sie. Natürlich kennt er den „Public Storage“, hat selber dort vor einer Woche gespielt und außerdem wohnt er in der Nähe. „You guys need a lift? Soll ich euch hinfahren?“ So kamen wir doch noch pünktlich und alles wurde gut. Daß man ohne Auto in den Vereinigten Staaten kein Mensch ist, habe ich zwar irgendwo schon mal gehört. Bloß geglaubt hatte ich es bislang nicht.

Santa Barbara, Kalifornien, 12. Juli

Bei unserem letzten US-Konzert entdecken wir das vermutlich einzige staatlich geförderte Jugendzentrum der Vereinigten Staaten. Es liegt nördlich von Los Angeles nah der Universitätsstadt Santa Barbara.

Die kalifornische Wasserverwaltung hat den Jugendlichen auf Drängen eines Lokalpolitikers eine kleine Fabrikhalle zur Verfügung gestellt. Zunächst liefen dort nur High School-Dances, die US-übliche, etwas formellere Version einer Schulparty. Weil aber die örtlichen Punkaktivisten als Straight Edge-Anhänger alkohol- und drogenfreie Veranstaltungen garantierten, dürfen im „Living Room“ nun auch deren Konzerte stattfinden. „Die Eltern haben nichts dagegen, daß ihre Kinder hier her kommen,“ sagt Kent Mc Clart, ein aus politischer Überzeugung konsequent drogenfrei gebliebener 30jähriger, der mit dem 'HeartAttack' das derzeit weltweit wichtigste Straight-Edge und Vegan-Fanzine herausgibt. „Sie bringen sie sogar her und holen sie wieder ab.“

Hier findet das selbst in der europäischen Hardcore-Szene bekannte Goletha-Festival statt, auf dem in diesem Jahr auch wir spielen. Wir hätten gewarnt sein müssen: Kein Polizeiauto weit und breit, das die Veranstaltung beobachtet. Wild, gefährlich und punkig ist in dieser Lagerhalle gar nichts.

Auf den Infoständen liegen neben obskuren Earth-First-Magazinen Bücher über Ökofaschismus, die vermutlich vor genau jenen Earth-First-Heftchen warnen. Ein Junge kniet vor diesen „radikalen“ Umweltschutzbroschüren. Er trinkt eine Dose Mountain Dew aus dem riesigen Pepsi-Automaten im Vorraum.

Zum Glück sind wir alt genug, um selbst nach dem Konzert weg zu fahren und müssen nicht darauf warten, daß Daddy uns abholt. „Das mit der Subversität,“ sagt unser Gitarrist Martin, „das kommt bei den meisten noch. Spätestens nach dem ersten Vollrausch.“

Lars Reppesgaard