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Boulevard der Schnäppchenjäger

Zum Boulevard des Nordens sollte sie wieder werden, statt dessen ist die Schönhauser Allee auf den Ramsch gekommen. Ein Einkaufszentrum soll die Allee nun wiederbeleben, doch die Kritiker warnen vor einem Todesstoß  ■ Von Uwe Rada

Unter einem Wiener Café versteht man eigentlich etwas anderes. Ein Kaffeehaus vielleicht mit höflichen Kellnern, einer gediegenen Auswahl an Mokka und einem reichhaltigen Zeitungsangebot. Oder einen Treffpunkt, an dem Künstler und Intellektuelle hinter vorgehaltener Hand nicht über das Hier und Jetzt, sondern über das Eigentliche sprechen. Im Hier und Jetzt der Schönhauser Allee versteht man unter dem Wiener Café eine Mischung aus Musikcafé und Spielsalon. Über das Eigentliche spricht dort keiner mehr.

Als Boulevard des Nordens wurde sie schon in den zwanziger Jahren besungen. Zu DDR-Zeiten, als das Wiener Café noch Café war und kein Spielsalon, galt sie als Treffpunkt für allerlei Unangepaßte, und nach der Wende sollte sie immerhin zum „Bezirkszentrum“ avancieren. Wie keine andere Straße im Ostteil der Stadt stand die Schönhauser Allee in Prenzlauer Berg für die Chance, den Mythos der Vergangenheit mit den Herausforderungen der Zukunft zu verbinden. Heute freilich regiert die Gegenwart links und rechts des „Magistratsschirms“, wie die Schönhauser im Volksmund genannt wird. Und die buchstabiert sich nach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage abwechselnd als „Conny's Container“, „Überraschungsbasar“, „Beste Reste“, „Posten und Partien“.

Die Schönhauser als „Boulevard der Schnäppchenjäger“ – über 15 Billig-Discounter bestimmen mittlerweile das Gesicht des „Boulevards“ zwischen Eberswalder und Bornholmer Straße. Dazu kommen Ketten wie „Wegert“ und „Mc Paper“, Musikcafés und Spielsalons, Reisebüros und Fachgeschäfte für Sicherheitstechnik. „Die Schönhauser Allee befindet sich im Niedergang“, resümiert denn auch Dorothee Dubrau, die Baustadträtin des Bezirks.

„Erst vor kurzem hat wieder ein Fachgeschäft geschlossen, Uhren- Weiß, ein Geschäft, das seit 100 Jahren an der Schönhauser Allee war“, sagt der Verkäufer der „Kleist-Buchhandlung“, Schönhauser Ecke Stargarder. „Alteingesessene Einzelhändler“, sagt er, „sind selten geworden.“ Die Kunden blieben aus, der Umsatz sinke – ein Teufelskreis. Nun hofft der Verkäufer auf die Eröffnung der „Schönhauser Allee Arcaden“ im Frühjahr 1999. „Vielleicht kommt dann mehr Laufkundschaft“. Vielleicht. Vielleicht versetzt das Einkaufszentrum mit seinen 19.000 Quadratmetern Verkaufsfläche der Schönhauser auch den Todesstoß. „Beides ist möglich“, sagt der Verkäufer. Seine Hoffnung klingt schon jetzt ein wenig hoffnungslos.

Die Marketing-Profis der Allee Arcaden haben den Optimismus dagegen gepachtet. Die Projektleiterin des Essener Projektentwicklers MFI, Maria Koopmann, ist vom Erfolg des 250 Millionen-Projekts am Bahnhof Schönhauser Allee überzeugt. Vor allem die Verkehrsanbindung sorge dafür, daß die Arcaden täglich von 50.000 Menschen frequentiert würden, so Koopmann.

Gerade wegen der zentralen Lage des Einkaufszentrums, warnen dagegen Einzelhandelsspezialisten wie Stephan Grupe von „Kemper's“, einer Immoblienberatungsfirma, drohe der Schönhauser Allee ein „Staubsaugereffekt“. Der Konsument werde in das Zentrum hineingezogen, drehe seine Runde, gehe zurück in die U-Bahn und sei weg. Grupe appelliert deshalb an die „Intelligenz der Investoren“. Sie sollen darauf achten, die Schönhauser Allee Arcaden nach außen zu öffnen und einen Handelsmix zu plazieren, der zu einer Belebung führe.

Geht man durch den Fußgängertunnel der Arcaden-Baustelle, findet man an den Werbetafeln des Einkaufszentrums tatsächlich Intelligentes: „Nur wenige der alteingesessenen Gewerbetreibenden haben Strukturwandel und Folgen von Rückübereignungen, Mietsteigerungen und Baustellen überlebt“, heißt es überaus kritisch. Das Lob der Arcaden-Developer gilt deshalb den zahlreichen Akteuren, die die Schönhauser nicht aufgeben: den Instandbesetzern nach der Wende ebenso wie dem Bemühen des Bezirks, die Traditionsstraße wiederzubeleben.

Nach zwei Jahre dauernden Diskussionen hatte das Bezirksamt 1994 beschlossen, die Schönhauser Allee zum Bezirkszentrum auszubauen. Schon damals drängte die Zeit. Alleine in den Jahren 1990 bis 1994 mußten nach Informationen des Landesverbandes der Lebensmittelhändler in Berlin 6.120 der 7.500 Tante-Emma-Geschäfte der Stadt schließen. Vor allem in der Schönhauser Allee, sagte damals der Geschäftsführer des Verbandes, Horst Faber, trage dies dazu bei, daß die Straße ihr traditionelles, abwechslungsreiches Gesicht verliere.

Um den „Strukturwandel“ aufzuhalten, sollte die noch vorhandene Gewerbemischung erhalten werden, das Wohnen ausgebaut und weiteren Ansiedlungen von Banken, Bordellen und Verwaltungseinrichtungen ein Riegel vorgeschoben werden. Mehr als ein Formelkompromiß war die beschworene Belebung jedoch nicht. Schon 1994 waren sich die Kommunalpolitiker nicht einig gewesen, ob die Ausweisung zum Kerngebiet mitsamt allen Begleiterscheinungen der Umwandlung von Wohn- in Büroräume das richtige sei oder eine behutsame Weiterentwicklung als städtebauliches Mischgebiet. Erst nach zahlreichen Protesten, unter anderem der Gewerbetreibenden und der Betroffenenvertretungen, wurde die Schönhauser Allee schließlich als Standort für Gewerbe und Wohgnen ausgewiesen.

Aus heutiger Sicht ist auch dieser halbherzige Vorstoß des Bezirksamts gescheitert. Die seit 1996 amtierende Baustadträtin Dubrau weiß einen der Gründe. „Mit ihrer Preispolitik“, sagt sie, „hat vor allem die Wohnungsbaugesellschaft zahlreiche Geschäfte vertrieben.“ In der Tat hatte die WIP („Wohnen in Prenzlauer Berg“) mit Mietforderungen von über 70 Mark pro Quadratmeter Ladenfläche bereits 1992 kräftig an der Preisspirale gedreht. Hinzu kam, daß vor allem in restitutionsbehafteten Häusern nur Verträge mit einer Dauer von drei bis fünf Jahren vergeben wurden. Zuviel zum Sterben, zuwenig für einen Kredit bei den Banken.

Nach erfolgter Rückübereignung legten die privaten Eigentümer noch nach. Zeitweilig lagen die Ladenmieten rund um den S- Bahnhof Schönhauser Allee bei über 120 Mark pro Quadratmeter – Preise, die sich nur Filialisten oder aber Billiganbieter leisten können.

So treffend deshalb die Zustandsbeschreibung der Arcaden- Manager auf ihren Werbetafeln ist, so wenig selbstkritisch sind die Hoffnungen auf eine Belebung des „Boulevards des Nordens“ durch das Einkaufszentrum. Neben einem Kaiser's-Verbrauchermarkt und einem Fachmarkt für Unterhaltungselektronik soll auch ein Textilgroßanbieter auf einer Fläche von 1.000 Quadratmetern eröffnen. Kein „intelligenter“ Branchenmix also, sondern der übliche. Auch in der Kleist-Buchhandlung herrscht deshalb die Angst vor dem „Staubsaugereffekt“, zumal sich die Buchhandlung, anders als in unmittelbarer Nähe anderer Einkaufszentren, nicht in der Lage sah, im Zentrum selbst eine Filiale zu eröffnen. Dieser übliche Versuch, den eigenen Standort zu sichern, sagt der Buchverkäufer, sei schlicht und ergreifend an den Mietforderungen der Allee Arcaden gescheitert.

Für Max Neumann, SPD-Abgeordneter und Sprecher des Vereins „Pro Prenzlauer Berg“, ist es deshalb wichtig, auch auf andere Aktivitäten zu setzen. „Die Schönhauser braucht vor allem mehr Aufenthaltsqualität“, fordert Neumann. Dies sei unter anderem mit Straßencafés und einem Wochenmarkt unter der Hochbahn zu erreichen. Außerdem könnte durch eine Verlängerung der Öffnungszeiten eine größere Belebung der Straße erreicht werden. „Die Schönhauser Allee“, sagt Neumann, „muß wieder für ein jüngeres Publikum attraktiv werden.“ Doch ganz scheint der Bezirkspolitiker und Inhaber des Restaurants „Weinstein“ von seinen eigenen Ideen auch nicht überzeugt zu sein. Mit der Eröffnung einer zweiten Filiale des Weinstein stand auch der Standort Schönhauser Allee zur Debatte. Vorerst bleibt alles beim alten: das Weinstein in der Lychener Straße und die Schönhauser ein Ort der Schnäppchenjäger.

Lifestyle in den Seitenstraßen und Ramsch auf dem Boulevard – vielleicht ist das gar nicht so untypisch für die Nachwende-Mischung des „Eigentlichen“ mit dem „Hier und Jetzt“. Und für die Neuauflage der Politikerdebatten um den richtigen Weg kommunaler Wirtschaftspolitik. Anders als bei der Debatte um das „Bezirkszentrum“ sind kritische Stimmen oder gar Proteste freilich rar geworden. Als vor kurzem in der Bezirksverordnetenversammlung über die Baugenehmigung eines weiteren Einkaufszentrums, des Bötzow-Centers, an der Prenzlauer Allee abgestimmt wurde, stimmte selbst die PDS mehrheitlich für das umstrittene Projekt. Wegen der Arbeitsplätze, so lautete die Begründung.

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