: Kunst gegen Gewerbe
Die Galerie XY: Trutzburg der Kultur inmitten des Gewerbegebiets der City-Süd ■ Von Hajo Schiff
Zehn Minuten Fußweg von den Deichtorhallen oder eine S-Bahn-Station hinter dem Hauptbahnhof liegt ein Ort, der für Szene-Freunde irgendwo im Orbit liegt oder zumindest weiter weg als Berlin zu sein scheint: Hammerbrook, auch City-Süd genannt, bekannt durch Diskussionen über die Qualität seiner Büropaläste. Die Angst, hier könne eine zweite monokulturelle Wüste wie die City-Nord entstehen, ist groß. Doch in zwei Hinterhöfen wird ebenso allein wie mutig Widerstand geleistet und die Flagge der Kultur hochgehalten: Es ist das Künstlerhaus Wendenstraße 45 mit seinem Ausstellungs- und Veranstaltungsort „XY“.
Mußten die über 40 hier tätigen Künstlerinnen und Künstler noch vor kurzem befürchten, daß sie wegsaniert würden, steht ihnen nun sogar ein 400 Quadratmeter großer L-förmiger Ausstellungsraum zur Verfügung. Auch wenn es den Künstlern keineswegs zum Nachteil gereicht: Entscheidungen über Haus und Ausstellungsort werden nach starkem Einsatz der Kunsthochschulleitung zwischen Großinvestor Dieter Becken (mehr als zehn Bürobauten der City Süd gehen auf sein Konto) und dem Bezirksamt getroffen und am liebsten im Fernsehen verkündet – direkte Kontakte oder schriftliche Verträge beschränken sich auf das Allernötigste.
Das Haus, eine alte Darmsortierfabrik, überstand als eines der ganz wenigen den Feuersturm und überragte 1945 die Ruinen ringsum. Daß es jetzt nicht abgerissen wurde, hat seinen Grund in einem Deal des Investors mit dem Bezirksamt: Als Gegenleistung erhielt der unmittelbar benachbarte und schon jetzt als sogenanntes „Doppel-X“ berühmt gewordene Neubau der Architekten Bothe, Richter, Teherani eine höhere Geschoßzahl, als es der Bebauungsplan für diese Gegend vorsieht.
Und als Entschädigung für den nicht gerade kunstförderlichen Baulärm, wurde dem Verein Wendenstraße der Ausstellungsraum von Dieter Becken mietfrei überlassen. Schon jetzt hat der Investor zudem versprochen, falls er den Raum im nächsten Jahr wieder braucht, für Ersatz zu sorgen. So konnte der harte Kern seit vorigem Dezember von einer Ausstellung von Künstlern, die ihr Geld als Museumswärter verdienen, bis zur Berliner Klang- und Projektionsgruppe Gelée Royale an die 30 Veranstaltungen organisieren. In einem dem Westwerk abgeschauten Mix zwischen Kunstausstellungen und Musikveranstaltungen präsentiert sich eine junge Szene, die noch bereit ist, „das Risiko der Peinlichkeit einzugehen“, wie Georg Kühn es ausdrückt.
Ausstellungen hier sind meist kurz. Dea es keine Laufkundschaft gibt, bleiben Eröffnungen die wesentlichen Ereignisse. Und für die wird meist ein Paket mit Performance oder Band geschnürt, um diejenigen, die hierherkommen, „einen ganzen Abend zu versorgen“ (Georg Kühn). Für die Zukunft möchte XY gern ein gemeinsames Projekt mit anderen Orten der gleichen Spielklasse wie Hafenklang, Fundbureau und Elbberg veranstalten. Was mit Berlin funktioniert, soll mit den Niederlanden, Sheffield und dem japanischen Sapporo weitergehen. Für den Herbst geplant sind ferner: Eine Mail-art-Aktion mit dem nach New York gegangenen Hamburger Tim Tyzel, eine Ausstellung mit dem Fotografen und Experimentalfilmer Olaf Fippinger, eine Rauminstallation mit Projektionen von Alexander Negrelli aus Berlin. Dazu kommen zwei eher kulturgeschichtliche Aufarbeitungen: Eine Ausstellung von weit über 1000 Flyern, die ein Berliner Soziologe zusammengestellt hat, und eine Sammlung von alten und neuen Projektoren aus dem Umkreis der Lichtkünstler dura lux (Infos unter: Tel. 23 46 31).
Die Galerie XY ist ein Ort, an dem eine alternative Szene dabei ist, sich zu etablieren, auch wenn das nicht immer auf Anhieb klappt – die Gruppe Hallöchen etwa hat im Frühjahr den Rest ihrer Exponate im Kamin des Ausstellungsraumes verfeuert.
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