: Geschlossen – geöffnet – geschlossen
■ In den 70er Jahren setzte die SPD die Öffnung der Jugendheime durch
Der Ruf nach geschlossenen Heimen für jugendliche Gewalttäter bedeutet in der Geschichte der Heimerziehung einen Schritt zurück. Die begann vor 300 Jahren, als August Hermann Francke die „Hallischen Waisenhäuser“ gründete. Damals galt es, verwahrloste Kinder „durch fortwährende, rastlose Beschäftigung zu arbeitsamen und religiösen Menschen“ zu erziehen. Pädagogisch umgesetzt wurde diese Devise mit scharfer Disziplin und bedingungslosem Gehorsam.
Bis ins 20. Jahrhundert hinein galt Menschlichkeit in der Heimerziehung als unangebracht. Erst dann machte sich langsam die Einsicht breit, daß Jugendkriminalität soziale Ursachen habe und dementsprechend an den Wurzeln angepackt werden müsse. Trotzdem war in den geschlossenen Besserungsanstalten für Halbwüchsige noch in den 60er Jahren kasernenhafter Drill angesagt. Der außerparlamentarischen Opposition (APO) ist es zu verdanken, daß man von dieser von strenger Disziplin bestimmten Pädagogik Abstand nahm. Mit der Parole „Zerschlagt den Erziehungsterror in kapitalistischen Anpassungslagern“ erstürmten 1969 Frankfurter und Marburger APO-Studenten hessische Kinder- und Jugendheime. Die sozialliberale Regierung setzte dann zu Beginn der 70er Jahre die allmähliche Öffnung von Kinder- und Jugendheimen durch.
Bis in die 80er Jahre war man zumindest in den SPD-regierten Bundesländern darum bemüht, alternative Betreuungsprojekte einzurichten. So wurden in Hamburg kleine Heime und Wohngruppen gegründet, in Hessen setzte man auf kostenintensive Einzelbetreuung. Ausgerechnet Hamburg und Hessen gelten in der aktuellen Diskussion um geschlossene Jugendheime als „Hardliner“.
1.600 Kinder- und Jugendheime betreuen in Deutschland derzeit fast 40.000 Zöglinge. Davon sind 750 Kinder und Jugendliche in 25 Heimen jeweils für vier bis sechs Monate geschlossen untergebracht. Neben Politikern treten jetzt auch Pädagogen für geschlossene Heime ein – allerdings nur für jugendliche Mehrfachtäter. „Extremen Leuten kann nur mit einer extrem intensiven Betreuung geholfen werden“, sagt etwa der Hamburger Erziehungswissenschaftler Jens Weidner. Heike Spannagel
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