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Hinkepinke verorten

■ Knut Dietrich über Straßenspiele als sozialisatorisches Repertoire

Die Großstadt ist die Stadt der Großen. Spielende Kinder sieht man darin oft als Nintendo bearbeitende Daddler oder als mit Tamagotchis kuschelnde Emotionale-Analphabeten. Das war früher natürlich alles anders: Die lieben Kleinen vertrieben sich mit didaktisch ausgereiften Spielchen, wie Hinke-Pinke, Gummitwist und Krötenfangen den Nachmittag. Klassiker wie „Länder Klauen“, „Fischer, Fischer, wie tief ist das Wasser?“ oder „Wer hat Angst vor'm schwarzen Mann?“ gehören nurmehr zum sozialisatorischen Repertoire der Dreißigjährigen.

Ob sich Kinderspiel einst und jetzt auf diese Vorstellungen reduzieren läßt, ist Ausgangspunkt der Überlegungen des Hamburger Pädagogen Knut Dietrich. In seinem Vortrag der Sommerakademie Spielräume: Erinnerte Jugend und Visionen des Alters greift er Erinnerungen an verlorene Spielräume und Kinderspiele auf, um nach Trends und Nischen zu suchen und neue „Bewegungsräume“ in der städtischen Spielwüste zu initiieren. Denn die sind Mangelware: Freiflächen werden zu Parkplätzen, auf der Straße zu spielen ist lebensgefährlich, auf die Bäume kann man nicht steigen, weil die Kletteräste abgesägt sind, die Standardgeräte auf den Spielplätzen sind lieblos arrangiert.

Die Kultur der Straßenspiele existiere heute als nostalgisch erinnerte, für die Jüngeren kaum noch vorstellbare Vergangenheit, meint Dietrich. Ein „Dialog der Generationen“ soll daher angestoßen werden, der nicht in einer „Früher war alles besser“ – Mentalität verharre, sondern in stadträumlich spürbare Veränderungen münde. Damit die Zäune um Spielräume verschwinden, bei denen man sich fragt, wer hier eigentlich vor wem geschützt wird: die Erwachsenen vor den tobenden Kindern oder die Kinder vor der kinderfeindlichen Erwachsenenwelt. Letztlich geht es Dietrich um die Frage: „Welche Spielräume lassen wir unseren Kindern für ein unbeschwertes und freies Kinderspiel auf dem Weg ins 21. Jahrhundert?“

Thomas Schulze

morgen, 19 Uhr, Esplanade 15

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