Buchhandel ruft Kohl und Naumann gegen EU zu Hilfe

■ Die amtierende und die wahrscheinlich künftige Regierung sollen sich bei EU-Kommissaar van Miert für Buchpreisbindung stark machen

Frankfurt (taz) – Der deutsche Buchhandel sucht nach Verbündeten im Kampf um die geregelte Preisfestsetzung für Bücher, die sogenannte Buchpreisbindung. Der Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Gerhard Kurtze, bat gestern Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) und den Kulturbeauftragten in spe einer SPD-Regierung, den Verleger Michael Naumann, die Buchpreisbindung zu verteidigen. Sie garantiere, sagte Kurtze in Frankfurt, stabile Buchpreise und ein dichtes Versorgungsnetz von Buchhandelsvertretern (Sortimentern) und Buchhandlungen. Der Wettbewerbshüter der Europäischen Kommission, Karel van Miert, will das von Börsenverein und Wirtschaftsministerium gesteuerte Vermarkten von Büchern aufheben. Am 16. September veranstaltet er deswegen eine Anhörung der Kommission.

Kurtze machte sich über den als unnachgiebig bekannten Wettbewerbshüter Europas lustig. Van Miert könne nicht lesen, jedenfalls nicht schnell genug, vermutete Kurtze. Der Brüsseler Kommissar habe sich in der französischen Zeitung Le Monde vorschnell mit „alten Vorbehalten und Angriffen“ zu Wort gemeldet – obwohl die Beschwerde der deutschen Verlage gegen die Aufhebung der Buchpreisbindung im Juni neue Argumente versammelt habe.

Daß der Verband nicht verschlafen am althergebrachten Gesetz von 1887 klammere, versuchte Deutschlands Oberbuchhändler an der regen Partizipation der Händler und Kunden am Internet zu belegen. Über eine millionmal sei die Internet-Adresse www. buchhandel.de mit den fünf aktuellen Dateien im letzten Jahr genutzt worden. Das sei „ganz erstaunlich und eine nicht vorhersehbare Chance“, sagte Kurtze. Dies System funktioniere aber nur deshalb in Deutschland wesentlich besser als in den USA, weil der durch die Preisbindung regulierte Buchmarkt die schnelle, wohnortnahe Bedienung garantiere. Der Umsatz über Internet sei zwar noch gering, die Tendenz aber steigend. Insgesamt sei die Entwicklung in der Branche beruhigend: Es gebe eine Stabilisierung und einen leichten Anstieg der Leserzahlen, der Buchpreise und der Gewinne bei einem Umsatz von 17,5 Milliarden Mark. 55 Prozent der Deutschen lasen 1997 pro Monat mindestens einmal ein Buch, fünf Jahre zuvor waren es nur 53 Prozent.

Hubertus Schenkel prognostizierte für die im Börsenverein organisierten Verleger einen leichten Rückgang der Konjunktur und einen verstärkten Wettbewerb. Schenkel sagte, fast 80.000 Neuerscheinungen, davon 57.680 Neuauflagen, in einem Jahr seien eine zu große Anzahl von Titeln, „die der Markt nicht aufnehmen kann“. Deshalb werde das Angebot reduziert werden müssen. Zu den Auswirkungenden des Streits um die Rechtschreibreform wollte er „am liebsten gar nichts sagen“. Die Verlage würden „nur sehr langsam“ umstellen und die Klassiker ganz verschonen wollen: „Es gilt das Primat der Autoren.“ Im Börsenverein sind 2.115 Verlage und 4.790 Buchhandlungen organisiert. Heide Platen