: Kanonenfutter für Fragezeichen
■ Mikrohistorie: Die „Aby Warburg – Fritz Saxl-Korrespondenz“
Das Interesse an den Wanderwegen astrologischer Symboliken vom Orient durch das Mittelalter in die Renaissance bringt den Hamburger Privatgelehrten Aby Warburg und den 24 Jahre jüngeren österreichischen Studenten Fritz Saxl 1910 zusammen. Ihre Gelehrtenfreundschaft wurde einer der entscheidenden Bausteine dafür, daß die Warburg-Bibliothek in Hamburg bis 1933 zu einem wichtigen europäischen Zentrum der Kunstgeschichte wurde. Wie groß der Anteil des Wieners, erst als jugendlicher Freund Warburgs, dann als Mitarbeiter und Leiter des Instituts daran war, ist in einer Textsammlung zu verfolgen, die zum 50. Todestag Fritz Saxls erschienen ist: die Korrespondenz der beiden Kulturwissenschaftler bis zum Ende des ersten Weltkrieges.
Dorothea McEwan hat die 24.500 Briefe gesichtet, die im Londoner Warburg Institute aufbewahrt werden, und legt nun den frühen Teil vor. Dabei bietet das Buch Ausreiten der Ecken ein vorzügliches, mikrohistorisches Bild wissenschaftlichen Arbeitens im Vorkriegseuropa, voller bis heute gültiger Aufmunterungen Warburgs an die Forscher, „die Ecken auszureiten“. Sich nicht zu Abkürzungen verleiten zu lassen, in denen feuilletonistische Ideen über genaues Quellenwissen triumphieren.
Heute irritierend sind die Militarismen in der Sprache der Wissenschaftler, selbst dann, wenn sie zu so köstlichen Formulierungen für ein Forscherleben finden wie „Kanonenfutter für respektable Fragezeichen“. Der Krieg kam realiter: 1914 wurde Fritz Saxl an die Front einberufen. Nun fiel den Gelehrten, die die italienische Kultur liebten und dieser Sprache fließend mächtig waren, die verwirrende Aufgabe zu, „die Ruhe der Alpenlandschaft durch Schießen zu stören“.
Nach Kriegsende erreichte Saxl noch im Jahr 1919 der Ruf von Max Warburg, für seinen erkrankten Bruder die Bibliothek in Hamburg weiterzuführen. Er baute sie zum universitär eingebundenen, interdisziplinären Institut aus und gab die einst empfangene Sorge an den nun nervenkranken Professor zurück. Seit Warburgs Tod 1929 Leiter des Instituts, gelang ihm 1933 die Rettung der 60.000 Bücher nach London und die Führung des Warburg Institute zu Weltgeltung. Die gemeinsamen Anfänge dieser Wissenschaftskarriere sind jetzt nachzulesen, als Band 1 einer neuen Publikationsreihe, die das Hamburger und Londoner Institut gemeinsam herausgeben. Hajo Schiff
Dorothea McEwan: „Ausreiten der Ecken – Die Aby Warburg – Fritz Saxl-Korrespondenz 1910-1919“, Warburg Institute London /Warburg Archiv Hamburg, hg. von Nicholas Mann und Martin Warnke, Dölling und Galitz Verlag, Hamburg 1998, 126 Seiten, 27 Abbildungen, 34 Mark
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