: Fleischwerdung deutscher Politik
■ Dietmar Schlee ist Rückkehrbeauftragter der Bundesregierung in Bosnien. Er soll Flüchtlingen den Weg in ihre Heimat ebnen. Den Durchbruch will Schlee in der Republik Srpsla schaffen. Das aber scheint ein zähes Unterfangen
Die Bagger stehen bereit. Auch die Männer, die beim Wiederaufbau zerstörter Häuser helfen. Nachdem der Staub der Fahrzeugkolonne sich gelegt hat, wird der Blick frei auf die hügelige, grüne Landschaft Westbosniens. Und auf die Ruinen einiger Häuser, in denen bis 1995 kroatische Familien lebten. Sie wurden erst am Ende des Krieges 1995 vertrieben, zur gleichen Zeit, als wegen der kroatischen Offensive in Kroatien Hundertausende Serben nach Bosnien fliehen mußten. Wie viele der serbischen Häuser in Kroatien wurden diese kroatischen Häuser hier damals ausgeraubt und in Brand gesteckt. Insgesamt 20.000 Kroaten verloren dabei ihre Heimat.
Jetzt sollen zunächst 35 Familien – darunter elf aus Deutschland, je eine aus Österreich und der Schweiz, die restlichen aus Kroatien – zurückkehren dürfen in dieses traditionell mehrheitlich von Serben bewohnte Gebiet. Mit Dietmar Schlee ist jener Mann angereist, der wesentlich dazu beigetragen hat, die Rückkehr der kroatischen Familien zu ermöglichen.
Der „Beauftragte für Flüchtlingsrückkehr und rückkehrbegleitenden Wiederaufbau in Bosnien-Herzegowina“ der Bundesrepublik ist im Gegensatz zu seinem von Bonner Bürokraten verliehenen Titel ein umgänglicher, keineswegs umständlicher Mann. Voller Energie springt er aus dem kugelsicheren Auto und geht mit ausgestreckten Händen auf die wartenden Menschen zu. Die Fleischwerdung deutscher Politik, die die bosnischen Kriegsfüchtlinge möglichst schnell in ihrer alten Heimat sehen will.
Mit seiner jovialen Art hat sich der sechzigjährige Jurist, Unternehmensberater und ehemalige CDU-Innenminister von Baden-Württemberg in Bosnien-Herzegowina durchaus Respekt verschafft. Und er hat die Behörden der Republika Srpska (RS) davon überzeugt, dieses „Pilotprojekt“ zuzulassen.
Seit einem Jahr schon müht er sich, die Rückkehr der Flüchtlinge aus Deutschland zu organisieren. Das Büro, das er leitet, ist eine Folge der Beschlüsse der Innenministerkonferenz der Länder im vorigen Jahr. Die Innenminister forderten damals die schnelle und umstandslose Rückführung der 350.000 Vertriebenen und Flüchtlinge in ihre Heimatorte. Ohne Rücksicht auf die Bedingungen vor Ort.
Im Gegensatz zur Meinung der Innenminister war an eine massive Flüchtlingsrückkehr nach Ansicht der Internationalen Gemeinschaft und der regierungsunabhängigen deutschen Hilfsorganisationen in Bosnien-Herzegowina jedoch noch nicht zu denken. Indem mit dem Büro Schlee eine Organisation vor Ort geschaffen wurde – sie wird vom Bundeskanzleramt finanziert –, sollte den Kritikern der Regierungslinie der Wind aus den Segeln genommen werden. Das Büro sollte nicht nur die Flüchtlingsrückkehr organisieren, sondern auch die notwendigen Bedingungen für die Rückkehr von Flüchtlingen und Vertriebenen schaffen.
Immerhin gelang es Schlee, und das bald, die deutschen Hilfsorganisationen auf eine gemeinsame Strategie zu verpflichten. Vor allem die Arbeit der Regierungsorganisationen wie das Technische Hilfswerk (THW), die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) und die Bundeswehr, die sich eine eigene Abteilung für solche Aufgaben zugelegt hatte (Cimic), wurden von dem Stab Schlee auf „rückführbegleitende Maßnahmen“ festgelegt.
Aber auch die deutschen regierungsunabhängigen Organisationen band er in die Strategie ein. Wiederaufbauprogramme in Mostar, dem Bezirk Una-Sana (Bihac) und in dem zentralbosnischen Gebieten um Kiseljak und Breza sollten wenigstens die Rückführung der Flüchtlinge aus den Gebieten der kroatisch-bosniakischen Föderation ermöglichen.
Der Druck auf die Flüchtlinge in Deutschland selbst tat ein übriges, um Schlee seinem Ziel näherzubringen. Knapp 150.000 Flüchtlinge und Vertriebene, vielleicht sind es schon mehr, sind bis Sommer 1998 „freiwillig“ in die bosniakisch-kraotische Föderation zurückgekehrt, anfänglich vor allem in den Una- Sana-Kanton um Bihac und Sanski Most. Von den jetzt noch in Deutschland lebenden rund 200.000 Flüchtlingen jedoch haben die meisten in der heutigen Republika Srpska ihre Heimatorte. Also müssen sie auch dorthin zurück.
Natürlich, versichert Schlee, habe er mit allen Politikern der Republika Srpska gesprochen. Viel mehr noch: Er habe Unterstützung zugesagt bekommen. Es sei ihm sogar gelungen, die Bürgermeister der Gemeinden in Westbosnien zusammenzurufen. Doch die Erfahrung, daß die serbischen Politiker bereit sind, Papiere zu unterschreiben, in der Praxis jedoch die Zusagen nicht oder nur unzureichend einzuhalten, macht auch ihm zu schaffen. So stockt ein großes Wiederaufbauprojekt der Bundeswehr in Modrica. Doch gerade mit diesem Politprojekt soll die Tür zur Rückkführung geöffnet werden.
Einige Dutzend Serben und Kroaten, Rückkehrer und Einheimische, sprechen vor dem Rohbau der Kirche mit Dietmar Schlee. Die meisten haben Schaufeln oder Werkzeuge in der Hand. Sie werden gemeinsam die 1995 zerstörten Häuser wieder aufbauen.
Die zur Verfügung stehenden 750.000 Mark sollen nicht nur für den Wiederaufbau der zerstörten kroatischen Häuser und der katholischen Kirche dienen, erklärt Schlee. Daß die britischen SFOR-Truppen die Wege ins Dorf ausbesserten und Brücken bauten, daß die Schule, das Gemeindehaus renoviert würden, sei ein Zeichen gegenüber der serbischen Bevölkerung. Mit der Rückkehr der Kroaten würde sich auch ihre Lage bessern, verspricht er.
Der serbische Gemeindevertreter Goran Stojakovic sagt nicht viel. Daß Schlee ihn anfänglich gar nicht wahrgenommen hat, nimmt er höflich hin. Und ebenso freundlich erklärt er sich mit den Projekten einverstanden. Schlee sollte jedoch sein Versprechen einhalten und auch etwas für die vertriebenen Serben tun.
Er werde sich persönlich genauso energisch für die Rückkehr von vertriebenen Serben einsetzen wie für die Kroaten hier, erklärt Schlee. Und er verweist auf das Dorf Ortijes bei Mostar, wo das Technische Hilfswerk für serbische Rückkehrer aktiv ist. Er entschuldigt sich. Länger könne er nicht bleiben. Er hätte noch eine Verabredung mit der Präsidentin der Republika Srpska, Biljana Plavsic, in Banja Luka. Vielleicht geht es dabei um Kozarac, das große Projekt, wo das THW tausend Häuser wiederaufbauen soll.
Die serbischen Gemeindevertreter ziehen sich in eine Dorfkneipe zurück, um die Lage noch einmal zu besprechen. Sie sind skeptisch geblieben. An eine massenhafte Rückkehr der Vertriebenen möchten sie nicht glauben. Die Republika Srpska sei ein Staat der Serben, „unser Staat in Bosnien-Herzegowina“. Erich Rathfelder
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