„Wir vertrauen einander halb“

Die Bewohner der Kommune ÖkoLeA genießen die Vorzüge des Landlebens und die Nähe zur Großstadt: Komposttoilette und Gemüsegarten in Klosterdorf, Kino in Berlin  ■ Von Kirsten Küppers

Martin Webber sitzt mit Jeans und kariertem Hemd im Nieselregen vor einem Bauwagen und spielt „Hey Joe“ auf der Gitarre. Seine dreijährige Tochter Mara hüpft zur Musik auf und ab und kaut Kaugummi. Wenn er nicht gerade den Kommunekindern erklärt, wer Jimmie Hendrix war, macht der irische Heilpraktiker Ringelblumensalbe, erntet Gurken im Erlebnisgarten oder baut an einer Komposttoilette.

Abends geht's dann manchmal nach Berlin ins Kino. Er ist nicht der einzige Kommunarde auf dem alten märkischen Hof in Klosterdorf, 50 Kilometer östlich von Berlin, der die Vorzüge von Stadt und Land genießt. Seine weißhaarige Nachbarin im wild bewachsenen Bauwagen gegenüber, die 67jährige Soziologin Brigitte Runge, hat ihre Wohnung in Berlin gleich behalten. Sie kommt wie alle anderen 30 Bewohner der „Ökologische Lebens- und Arbeitsgemeinschaft“ (ÖkoLeA) aus der Stadt. Da gibt es Abnabelungsschwierigkeiten, auch wenn man sich demonstrativ auf das Abenteuer Landleben eingelassen hat und innerhalb weniger Jahre eine gut funktionierende ökologische Kommune aufgebaut hat.

„Kommune wagen?“ fragte im Frühjahr 1990 eine Annonce im Tagesspiegel. Brigitte Runge und rund hundert andere Leser fühlten sich als „Menschen, die nach einer Alternative zum isolierten, besitzindividualistischen Leben suchen“, angesprochen und kamen zum ersten Treffen in Berlin. Zwei lange Jahre fuhren die ambitionierten Kommunegründer jedes Wochenende durch die Gegend und suchten nach einem geeignetem Gelände. Viele der anfangs Interessierten sprangen wieder ab. Brigitte Runge hat tapfer durchgehalten: „Ich wollte einer Isolation im Alter entfliehen. In der Kommune hat man eine Aufgabe“, verrät sie ihre Motivation Groß-WG-Bewohnerin zu werden.

Schließlich kaufte der frischgebackene Siedlungsverein 1993 von der Treuhand ein altes LPG-Gelände bei Strausberg. Im ehemalige Kuhstall stehen jetzt 28 große und kleine Fahrräder, zwei Tretroller und vier Paar Rollschuhe für die Kommunarden bereit, die heute in und um die Feldsandsteingebäude des Hofes in Klosterdorf wohnen. Wer in den früheren Kälberstall will, muß die Schuhe ausziehen. Jetzt wird dort gemeinsam gekocht, gegessen und jeden Donnerstag Plenum abgehalten. Auf das von außen etwas bieder wirkende Wohnhaus haben die ÖkoLeA-Bewohner eine Solaranlage installiert. Innen gibt es Holzmöbel und Büroräume, wie es sich für eine moderne Kommune gehört. Weil der Platz aber immer noch nicht reicht, wohnen viele der insgesamt 19 Erwachsenen und elf Kinder in Bauwagen hinter der ehemaligen Scheune. Hier findet sich vom PC bis zur Matratze alles, was privat und nicht Gemeinschaftseigentum ist.

Neben dem Renovieren alter Häuser muß der bunt zusammengewürfelte Haufen auch sein Zusammenleben organisieren. Schwierig genug, bei einem Altersunterschied zwischen dem jüngsten und dem ältesten Bewohner von 69 Jahren. Auch politisch ziehen nicht alle an einem Strang. Da treffen sich SPD-Querdenker, radikale Anti-AKW-Aktivisten, und ostdeutsche Anthroposophen beim Frühstücksmüsli. „Undogmatisch links, darüber hinaus will das Projekt keine politische Festlegung“ – so ein WG-Grundsatz.

Wer neu einziehen will, muß ein halbes Jahr seine Kommunetauglichkeit unter Beweis stellen. „Wir vertrauen einander halb“, meint Martin Webber verschmitzt. Jeder Bewohner muß die Hälfte seines Nettoeinkommens in die Gemeinschaftskasse abliefern. Davon werden Wasser, Strom, und Essen bezahlt. Wen es nach Süßigkeiten, Zigaretten oder Alkohol gelüstet, muß sich seine Suchtmittel privat kaufen, erzählt Brigitte Runge.

Streitigkeiten gab es darüber, ob die Männer ein Pissoir im gemeinschaftlichen Badezimmer erhalten sollten. Der Kommune- grundsatz, patriarchale Beziehungen abzubauen,ist der resoluten Frau ein besonderes Anliegen. Das Pissoir wurde nach einigem Hickhack nicht gebaut, die Männer müssen im Sitzen pinkeln, sagt Brigitte Runge und lächelt sanft.

Der Alltag sei weniger turbulent als am Anfang, findet indes Martin Webber. Es würde weniger gestritten. Viele der wilden Träume, die Komposttoilette und der Garten, seien inzwischen Realität, und man müßte sich darum nicht mehr die Haare raufen.

Mit dem Sanieren werden die Kommunarden aber noch eine ganze Weile beschäftigt sein: Weitere Wohnungen für alle sollen geschaffen werden. Noch ist unklar, was in der Scheune passieren wird. Ari Tittlus will eine Ökobäckerei, Martin Webber ein riesiges Kinderzimmer, Brigitte Runge einen Seminarraum. Entsprechende Seminare bieten die Hofbewohner über das ÖkoLeA-Bildungswerk bereits an: Workshops zum Thema „Lehm“, Gartenführungen „Rund um den Kürbis“ oder Kurse in Fußreflexzonenmassage. Der neue Scheunenboden wurde mit einer Vorführung des Aikido-Kindertrainings eingeweiht.

Den großen Garten der Kommune besuchen sogar Schulklassen aus Berlin. Denn der versorgt die WG nicht nur mit Brokkoli und Kohl. Hier lernen die Schüler, wie man mit Lehm eine „Hummelburg“ baut und andere kleine Lebensweisheiten. So siedeln Wildinsekten zum Beispiel gerne in solchen Burgen, und Kartoffeln schmecken besser, wenn man sie neben Kümmel pflanzt.

„Nie mehr umgraben“ – das schien der 62jährigen Marianne Poseck ein attraktives Konzept zu sein, als sie – ohne eine Ahnung von Gärtnerei zu haben – begann, sich um den ÖkoLeA-Garten zu kümmern. Dahinter steckt Garten- und Lebensphilosophie. Mit „Permakultur“ sollen Mensch und Natur wieder gesund werden. Dementsprechend gießt Marianne Poseck die spiralförmig gepflanzten Kräuter und Selleriebeete auch nicht, wie sie stolz bei der Führung durch den Garten erzählt. „Mulche“ – organisches Material, das auf die Beete verteilt wird — hält den Boden feucht. Soll ein Beet ruhen, wird es mit Stroh, Pappen und sogar Federbetten abgedeckt. Die Tierchen im Boden sorgen dann schon von allein für gute Erde, weiß Marianne Poseck. Sie hat sich inzwischen zur Gartenfachfrau gemausert, der so schnell keiner was von Kraut und Rüben vormacht.

Trotzdem schien der blühende Permakulturgarten und das Leben in der Großgruppe den Nachbarn zuweilen nicht ganz koscher. Mit Äußerungen, wie „Iih, die Ökos, leben nur auf anderer Leute Kosten“ wurde die Kommune angefeindet. Als Sekte seien sie auch beschimpft worden, empört sich Marianne Poseck kopfschüttelnd. Weil die Bauarbeiten nur langsam vorankommen und das Projekt keine dauerhaften Arbeitsplätze für die Dorfbewohner schafft, sind die Klosterdörfer skeptisch.

Trotzdem empfindet Martin Webber das Leben bei ÖkoLeA als kleine heile Welt. Familien seien in der Kommune noch nicht in die Brüche gegegangen. Auch sein Mitbewohner Till Heidtmann findet, die Beziehungen verliefen bei ÖkoLeA friedlicher. „Die üblichen Zerfleischungen, wie sie in Berlin passieren, gibt es bei uns nicht.“

Jeden ersten Samstag im Monat öffnet ÖkoLeA die Türen um 14 Uhr für Besucher. Die Anschrift: ÖkoLeA Klosterdorf, Hohensteiner Weg 3, 15345 Klosterdorf, Telefon 03341/3593930. Von der S-Bahn Endstation Strausberg/Nord sind es noch 3,5 Kilometer