Ein Idyll in ursprünglicher Reinheit

■ Grenada ist wegen der politischen Unruhen in Erinnerung: Gescheitertes sozialistische Ideal, marxistische Hardliner und Einmarsch der Amis. Nach Tourismus klingt das nicht. Noch nicht

Fünfzehn Jahre nach der US-Intervention im Herbst 1983 ist es immer noch sehr still auf Grenada – zwar legen wieder regelmäßig weiße Kreuzfahrtschiffe an der Hafenmole von St. George's an, und die wenigen Luxushotels haben ihre Pforten wieder geöffnet. Doch ersehnte Wirtschaftshilfen für die legendäre Gewürzinsel (hauptsächlich Muskatnuß) blieben hinter den Erwartungen der Insulaner weit zurück, die Arbeitslosigkeit ist hoch.

„John Wayne kam jedes Jahr hierher mit seiner Yacht.“ Etwas Trauer um den verstorbenen Freund schwingt in der Stimme mit, „denn St. George's, das war sein Lieblingsplatz!“ Man kann's verstehen. Wir sitzen in Rudolf's Restaurant, und Rudolf, seit fast drei Jahrzehnten auf Grenada, läßt frisches Faßbier bringen. Um das hufeisenförmige Hafenbecken entfaltet sich eine bunte Altstadtkulisse, als wäre es ein Werbeplakat. Koloniale Architektur zieht sich terassenförmig grüne, tropische Inselberge hoch.

„Der Raimund war auch schon öfter hier“, erzählt der Wirt aus alten Tagen über den kürzlich verstorbenen „Seewolf“-Schauspieler. Und dann folgt die stammtischerprobte Geschichte mit dem Fisch: Wie der Harmstorf für Pressefotografen einst als Hochsee- Angler posierte und das Ding („ein riesengroßer Dolphin war's!“) so lange vor die klickenden Kameras halten mußte, bis er dunkelblaue Finger hatte. Die Requisite stammte nämlich – mangels einer echten, fotogenen Anglertrophäe – aus Rudolfs Tiefkühltruhe.

Das war damals, im Holiday Inn, wo Rudolf noch als Koch in der Hotelküche stand. Doch die alten Zeiten sind vorbei. Aus dem Holiday Inn und dem bei der US- Intervention stark unter Beschuß gekommenen Nachbarhotel Grenada Beach ist inzwischen das Nobel-Hotel Ramada geworden. „Zum Glück ist das alles vorbei“, kommentiert Rudolf, an dessen Zapfhahn die beiden politischen Kontrahenten, der Marxist Cord und der Sozialist Bishop häufiger zu finden warten. Immer noch sind hier und da Graffiti zu finden, die der Idee des von den Hardlinern ermordeten Ex-Präsidenten Maurice Bishop nachtrauern.

Aber Grenada lebt in der Gegenwart: An Sonn- und Feiertagen, wie beispielsweise am Ostermontag, versammeln sich die Einheimischen auf ihrer „Grand Anse“ (Grenadas längster und schönster Strand gleich um die Ecke von St. George's) zum Feiern, Tanzen und Essen. Feuriger Calypso dröhnt dann aus Lautsprecherboxen, und selbst die kleinsten Kinder schaukeln schon im Takt mit. „Ich habe auf einem Kreuzfahrtschiff gejobbt“, erzählt Jimmy, „habe Martinique, Jamaika, Florida gesehen – und doch immer wieder solche Sehnsucht nach Grenada gekriegt!“ Jetzt hat er einen Job an Land, um immer auf seiner Trauminselzu leben.

Vom „Pier Number-One Restaurant“, direkt ans Wasser gebaut, genießt der Besucher den besten Blick: Auf die Carenage, die Promenade St. George's, auf die Grand Anse, auf die grünen Palmenberge. Hier sitzt du bei einem kühlen Drink, vielleicht an einem Samstagvormittag, und von allen Seiten schnurren Schlauchboote mit Yachties heran, die zum Einkaufen den Markt des Hauptstädtchens besuchen.

Echte Seglerveteranen sind das manchmal, bärtig, braungebrannt, mit alten Jutesäckchen über der Schulter, in denen nach fröhlichem Feilschen mit scherzenden Marktweibern Melonen, Mangos, Papayas und Bananen verschwinden. Noch sieht man die alten inseltypischen Holzbusse Marke Bedford fahren: mit einfachen Holzbänken auf der Ladefläche, an den Seiten offen, die die Kundschaft zum Markt und die Händler zurück in die weit entfernt gelegenen Bergdörfer kutschieren.

Auf Massentourismus sind die Touristikmanager nicht aus. Die lange Flaute im Reisemarkt, bedingt durch die „socialist revolution“, hat den Planern ein wertvolles Pfand in die Hand gespielt, mit dem sie äußerst sorgsam umgehen wollen: Grenada ist sozusagen „jungfräulich“ geblieben.

Doch das soll, so Nigel C. Gravesande, Director of Tourism, nun anders werden: Bis zum Jahr 2006 sollen die vorhandenen Hotelzimmer auf 4.000 anwachsen, Golfplätze und weitere Fünfsternanlagen entstehen. Grenada, so versichert der Planer, sei touristisch gesehen praktisch unentwickelt. Die schönsten Buchten menschenleer, alles konzentriere sich bislang auf St. George's. Der Meinung ist auch Rudolf, der Kneipenwirt, der sich über den Buchten der Hauptstadt mit Blick auf türkisblaue See ein Giebelhaus im Alpenstil hat bauen lassen. „Wo kann es schöner sein als hier?“ fragt er und schielt dabei kein einziges Mal auf die Kupferstiche von Salzburg und Hamburg, die über seinem Tresen hängen. „This is my island in the sun“ summt er zum Abschied. Roland F. Karl