piwik no script img

„Bausätze aus dem Aquarium für die Musik der Zukunft“

■ Kein TripHop, kein Techno, sondern Soundbites auf dem Weg zur Biomasse: Mouse on Mars über Daten, Drumbeats, Dimensionen

taz: Stücke von Mouse on Mars klingen wie Gimmicks auf einer Spielwarenmesse – überall fiept oder klackert es.

Jan Werner: Hm, ich war zwar noch nie auf einer Spielwarenmesse, wenn es da aber so klingen würde wie auf unseren Platten, wäre das fast ein Grund, das nicht mehr zu machen. Aber im Ernst: Ich glaube, daß unsere Musik gar nicht so nett und naiv ist, wie viele immer meinen – in gewisser Weise ist sie nämlich sogar ziemlich ignorant: Wir verweigern uns den gängigen Klischees, indem wir uns gerade nicht auf bestimmte modische Arrangements einlassen. Bei uns gibt's deshalb keinen TripHop oder ähnliche Sachen.

Ob TripHop oder Drum 'n' Bass – ohne Elektronik geht nichts mehr. Kraftwerk haben eine zweite Karriere hinter sich, und Madonna läßt ihre Musik durch den englischen Bastler William Orbit auf Vordermann bringen.

Jan Werner: Ja, das ist schon komisch, der ganze Elektronikbereich ist ja inzwischen zu einer riesigen Industrie geworden. Die traurige Seite daran ist, daß viele Sachen eigentlich nur als Alibi- Element dienen, um Anschluß zu suggerieren: Der Beat von dem Madonna-Stück, „Frozen“, ist ja in Wirklichkeit breits uralt. Den gibt's schon seit Ende der Achtziger auf Sampling-CDs zu kaufen. Ich glaube „Snap“ haben den damals sogar schon verwendet. Bei denen klang das allerdings noch viel aufgeblasener. Und dann haben die großen Plattenfirmen inzwischen wohl auch verstanden, daß auch Musik, von der bislang niemand was gehört hat und die bisher über kleine Labels veröffentlicht worden ist, erfolgreich werden kann. Deshalb sind die vielleicht tatsächlich ein wenig risikobereiter geworden. Und schließlich noch, und das mag jetzt vielleicht simpel klingen: Elektronische Hilfsmittel dominieren heute sowieso so gut wie jede Produktion. Da ist es ein ziemlich naheliegender Schritt, nicht mehr so zu tun, als ob die Gitarre, die man studiotechnisch bearbeitet hat, im Mittelpunkt stünde, sondern das, was wirklich das Neue ausmacht – die Elektronik nämlich.

Andi Thoma: Für uns ist es inzwischen allerdings völlig unwichtig, ob unsere Musik nun elektronische Musik ist oder nicht – mittlerweile werden ja sowieso alle möglichen Musikstile fusioniert. Anfang der 90er war das noch anders, da war die Feststellung „Wir machen elektronische Musik“ gleichzeitig eine Art Standortbestimmung. Heute ist Elektronik einfach nur ein Mittel, um an Musik zu arbeiten – und ein praktisches dazu: schließlich brauchst du keine zentnerschweren Verstärker zu schleppen, du brauchst keinen Schlagzeuger und keinen Gitarristen...

JW: ...ansonsten würde die Misere ja schon wieder losgehen: Die spielen dann was, das man gar nicht hören will.

Hattet ihr den Eindruck, daß man euch von Anfang an hören wollte?

AT: Ich erinnere mich noch an den Kommentar der Plattenfirma „Rough Trade“ [heute der deutsche Vertrieb; d.Red.]. Als wir denen 1992 das fertige Material für unser erstes Album „Vulvaland“ geschickt haben: Da hieß es dann, unsere Musik würde sich niemals verkaufen.

JW: Die wäre im klassischen Sinne nichts: weil sie nichts darstellt, sich auf nichts bezieht, für nichts gut ist und niemanden anspricht – auf so eine Art von Musik hätte die Welt gerade noch gewartet. Dann kamen die sogenannten Verbesserungsvorschläge: Zum Beispiel sollten wir uns von DJs remixen lassen oder einen großen Namen für uns verpflichten. Dabei haben wir uns auf Techno ja sowieso immer nur am Rande bezogen. Unsere Wurzeln liegen eher bei Bands wie King Crimson, XTC und den Cocteau Twins.

Mit „Too Pure“ und „Rough Trade“ habt ihr zwei renommierte Plattenfirmen im Rücken. Dennoch ist euer letztes Album „Instrumentals“ und jetzt auch „Glam“ auf Eurem eigenen Label „Sonig“ erschienen. Auf Vinyl. Weshalb die Gründung des Labels?

AT: „Sonig“ hat das Rennen nach den Kriterien gewonnen: bestaussehendste Mitarbeiter und gemütlichstes Büro. Natürlich mußte „Sonig“ gegründet werden, weil du selbst bei einer sogenannten Independent-Firma immer wieder mit Konventionen zu tun hast: Du mußt bestimmte Veröffentlichungsdaten berücksichtigen, dir wird gesagt, daß sich das Pressen von Vinyl nicht lohne, die Werbetrommel muß gerührt werden – obwohl das indirekt natürlich wieder von den Einnahmen abgeht. Das wollten wir jetzt mal selbst in die Hand nehmen.

Wie stellt Ihr euch Musik in 20 Jahren vor?

JW: Bio-Masse-Musik wird das sein – also Musik, die sich selbst erzeugt als natürliches, organisch-lebendes Produkt. Es wird deshalb immer mehr ums Musikentdecken gehen und weniger darum, im klassischen Sinne selber welche zu machen.

AT: Man wird dann auch keine Computer mehr haben, sondern kleine Bio-Areale in Aquarium- Größe, die man sich zu Hause hält.

JW: Quasibausätze für Musikorganismen.

AT: Dann kann jeder ein Stück entdecken und herausbringen. Interview: Oliver Kretzmer

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen