piwik no script img

UN-Bericht rügt Algeriens Regierung

Menschenrechtskommission fordert eine unabhängige Untersuchung der Massaker  ■ Von Reiner Wandler

Madrid (taz) – „Wir sind über die zahlreichen der Massaker ebenso besorgt, wie über das Fehlen von entsprechenden Maßnahmen der Polizei oder der Armee, um die Opfer wirksam zu schützen“, heißt es im Bericht „Über die aktuelle Krise der Menschenrechte in Algerien“, den das UN- Menschenrechtskomitee am Freitag nachmittag in Genf vorlegte.

Noch während sich eine UN- Beobachterdelegation unter Leitung des ehemaligen portugiesischen Präsidenten Mario Soares in dem nordafrikanischen Land aufhält, um sich ein Bild über die Auswirkungen des Konflikts zwischen Armee und radikalen Islamisten auf das alltägliche Leben zu machen, fordert das UN-Menschenrechtskomitee erstmals „eine unabhängige Untersuchung auf allen Ebenen über das Verhalten der Sicherheitskräfte“. Nur so könne überprüft werden, ob die „Anschuldigungen über das stille Einverständnis der Sicherheitskräfte mit den terroristischen Aktionen“ gerechtfertigt seien.

Eine 18köpfige Expertengruppe unter der Leitung der französischen Richterin Christine Chanet hat drei Wochen über dem Menschenrechtsbericht gesessen, den die algerische Regierung turnusgemäß bei der UNO eingereicht hatte. Am Ende blieben mehr Fragen als Antworten, denn „die Regierung hat nur spärlich informiert“. Angesichts der zunehmenden Klagen von Anwälten über Verschwundene, systematische Folter und willkürliche Erschießungen bei Razzien, müsse Algier „dringend eine unabhängige Untersuchung über alle Verletzungen des Rechts auf Leben zulassen“.

Neben Armee und Polizei sehen die UN-Experten in den Bürgerwehren eine wichtige Ursache für die systematischen Menschenrechtsverletzungen. Deren „offizielle Anerkennung und Ausbildung“ werfe die Frage auf, „inwieweit es legitim ist, staatliche Gewalt an private Gruppen zu delegieren“. Eine „strikte und effiziente Kontrolle“ der sogenannten Patrioten sei nötig, da sie immer wieder beschuldigt werden, selbst Massaker in Dörfern zu verüben, deren Bevölkerung mit den Islamisten sympathisiere.

„Wir haben nur aneinander vorbei geredet“, beklagt sich Chanet über den algerischen UN-Botschafter Mohammed-Salah Dembri. „Es gibt nur Zeugenaussagen, aber keine Beweise“, lautete dessen Standardantwort auf kritische Fragen. Nur an einem Punkt deutet sich ein mögliches Einlenken an: auf den Vorschlag nämlich, künftig alle Verhafteten in einem Zentralregister zu führen. „Solche nationale Listen sind vielleicht nicht schlecht, um regionales Durcheinander zu verhindern“, sagt Dembri. Damit gibt er indirekt den Klagen der algerischen Menschenrechtsanwälte recht, die eine Ursache für das Verschwinden von 2.000 Menschen darin sehen, daß jedes x-beliebige Kommissariat überall im Land operieren darf, ohne daß jemand weiß, wer die Verhaftungen vorgenommen hat.

Während die algerische Regierung in Genf mit Information geizt, darf sich die UN-Beobachterdelegation vor Ort erstaunlich frei bewegen. Die sechsköpfige Gruppe, die sich seit 22. Juli in Algerien aufhält, hat laut ihrem Sprecher, Hassan Fonda, „die Informationen, die sie sammeln wollte, weitgehend zusammen“. Ob in der Mitidja, der Ebene vor den Toren Algier, oder im Dörfchen Ain Khelil nahe der marokkanischen Grenze, wo erst vor einer Woche zwölf Menschen grausam getötet wurden – die Gruppe hatte die Gelegenheit, mit den Opfern zu reden. Selbst Algiers Hochsicherheitsgefängnis Serkadji öffnete seine Tore. Treffen mit Vertretern aller Parteien standen ebenso auf dem Programm, wie mit hohen Militärs und Menschenrechtsanwälten. Selbst die beiden Verteidiger der Führung der Islamischen Heilsfront (FIS), Mustafa Bouchachi und Ahmed Tahri, wurden empfangen. „Die Regierung hat einen Prozeß in Gang gesetzt, der nur noch schwer zu stoppen ist“, heißt es in einem Leitartikel der Tageszeitung Liberté vom Samstag. Innerhalb der nächsten zwei Monate sollen die sechs Delegationsmitglieder einen Konsensbericht über das vorlegen, was sie vor Ort gesehen haben. UN-Generalsekretär Kofi Annan will das Dokument dann in New York veröffentlichen. Die scharfen Rügen des UN-Menschenrechtskomitees haben die internationale Erwartungen zusätzlich gesteigert.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen