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Tee als Alkoholersatz

Eine Leidenschaft und ihre Facetten: Das Teemuseum in Norden zeigt die Geschichte der Teekultur in Ostfriesland auf  ■ Von Mechthild Klein

Auf Alkohol können sie notfalls verzichten, doch nicht auf ihren Tee. Deshalb zählt die Zeit des Zweiten Weltkriegs auch zu einem der dunkelsten Kapitel in der Geschichte Ostfrieslands. Denn damals wurde die bekannte Mischung aus feinsten Assam-Sorten rationiert. Die Leidenschaft der Friesen geht so weit, daß sie ihrem Nationalgetränk sogar ein Museum gewidmet haben. In Norden, im Nordwesten der friesischen Flachlandschaft, wurde 1989 das erste Teemuseum Westeuropas eröffnet.

Unter Urlaubern wird die kleine Teeschatzkammer inzwischen als Geheimtip gehandelt. Auf drei Etagen kann dort das einheimische Kulturgut in all seinen Facetten bestaunt werden. Besonderes Highlight: eine westfriesische silberne Kanne mit Drachenkopf als Tülle. Daraus tranken Anfang des 18. Jahrhunderts reiche Friesen aus Groningen ihren Tee.

Die Teevernarrtheit der Ostfriesen läßt sich bis ins 17. Jahrhundert zurückverfolgen. Aus Holland schwappte die Teemanie damals zu den Friesen. Das Getränk diente schon bald als Nahrungsmittel und Alkoholersatz. Was vielleicht die Rettung für Ostfriesland war, denn ein Zeitzeuge berichtet 1530, die Frauen in Ostfriesland seien zwar sehr schön, teils aber dem Trunk ergeben und „oft sogar schwer berauscht vom Hamburger Bier“.

Als im 18. Jahrhundert der Teegenuß als schädliche Abhängigkeit gebrandmarkt wurde, hielten die Ostfriesen trotz aller Verbote hartnäckig an ihrer Teekultur fest. Bis heute liegt der ostfriesische Verbrauch um ein Vielfaches über dem Bundesdurchschnitt. 2,5 Kilo Teeblätter vertrinken Ostfriesen pro Kopf und Jahr. Der Rest der Republik bringt es im Schnitt gerade mal auf 230 Gramm.

Schon die Zubereitung ist eine geradezu heilige Handlung. Museumsaufsicht Luise Schneider schwört auf Porzellankannen für die Teezubereitung. Außerdem sei die Einwirkzeit wichtig. „Vier Minuten muß er mindestens ziehen, und jede Tasse muß einzeln aufgegossen werden.“ Da wundert es nicht, daß das Leben in Ostfriesland insgesamt etwas ruhiger und beschaulicher zugeht. Die Einheimischen führen das auf den Einfluß ihrer Teekultur zurück. Immerhin sollen bis zu sechs Teepausen täglich abgehalten werden. Und für jede Pause gilt: „Dree Tassen sind Ostfreesenrecht.“

Das Ostfriesische Teemuseum (Am Markt 36, Norden) ist bis Ende Oktober täglich außer montags von 10 bis 16 Uhr geöffnet.

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