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Wissende Einfühlung der Elfriede J.

Elfriede Jelinek ist als „Dichterin zu Gast“ bei den Salzburger Festspielen. In „Jelineks Wahl“ wird eine ganz neue Form der Darreichung von Literatur präsentiert. Ein Glücksgriff des Salzburger Schauspielhausdirektors Ivan Nagel, der aber trotzdem gehen muß  ■ Von Uwe Mattheiß

Auf Salzburgs Bühnen erklären in diesem Sommer Männer ihr Seelenleben – zumindest im Schauspiel. Die Jedermanns, die Dantons, die Jimmy Mahonneys erobern die Welt, scheitern und büßen im fahlen Licht des Mondes von Alabama oder im Schlagschatten des Salzburger Doms. Helden, die „es versucht haben“. Ihre Existenzbeweise liefert das Blut der anderen. Sie besteigen gefaßt und dem Geschick trotzend die Guillotine in Robert Wilsons pittoresk- verspieltem „Danton“, mit lyrischer Klage den elektrischen Stuhl in Peter Zadeks pompös veroperter „Mahagonny“-Inszenierung, oder sie schreien einfach nach ihrem Gott, bevor sie in die Kiste hüpfen, wie Gert Voss abermals am Domplatz. Einen Koch mögen sie in ihren Erdentagen bei sich gehabt haben, sicher aber ihre Frauen. Doch die Buhlschaften, die Lucilles, die Jennys sind ihren Männern blinde Spiegel, deren Rückseiten im Dunkeln bleiben, Figuren, an denen Schauspielerinnen nichts bleibt, woran sie sich halten können.

„Ehre sei Gott in der Höhe der Preise“, spottete Karl Kraus schon in den zwanziger Jahren. Er hat unrecht. Die Festspiele schöpfen höchst effizient das Schwarzgeld ihrer Kundschaft ab und dienen damit der volkswirtschaftlichen Hygiene. Die ästhetischen Richtungsweisungen Salzburgs dagegen schwanken. Zwischen dem Aufmarsch behäbiger Repräsentationskunst vor putzigen Fassaden warten dann doch wieder ungeahnte Entdeckungen auf.

Als Gegengewicht seiner Bündelung expansiver Männlichkeit im Drama hat Ivan Nagel, (noch) der Schauspieldirektor der Festspiele, ein allerdings aufgewertetes Damenprogramm im Literaturteil ersonnen. Elfriede Jelinek, erstmals „Dichterin zu Gast“ im Salzburger Sommer, geriet zum Glücksfall für die Festspiele. An vier Abenden „Jelineks Wahl“ organisiert sie eine völlig neue Form der Darreichung von Literatur und des Sprechens über Literatur für die Salzburger Festspiele. Walter Schmidinger liest Robert Walser und Friedrich Glauser, Martin Schwab liest Hölderlin, Trakl und Werner Schwab, Hans-Michael Rehberg liest Celan, Kertész, Kis und Wilkomirski, Angela Winkler und Martin Wuttke lesen Unica Zürn, Konrad Bayer, Sylvia Plahl und Walter Serner.

Zur „Hommage an Elfriede Jelinek“ wurde dagegen Jelinek gelesen. In einer zwölfstündigen „Reise durch Jelineks Kopf“ an simultan bespielten Orten entwickelt die Dichterin die Bedingungen der Möglichkeit ihrer Arbeiten. Diese Programmierung durchbricht die bisherige Praxis weihevoller Lyrik-Lesezirkel, Schauspielervorlieben und Dramaturgen-Nebenjobs im Beiprogramm der Festspiele, bei denen vorzugsweise sonntags auch die Freidenker den zu Salzburg geübten kulturreligiösen Andachtsgestus einnehmen konnten. „Jelineks Wahl“ ist neben Musiktheater, Konzert und Schauspiel das vierte Bein der diesjährigen Festspiele mit vollkommen eigenen Schwerpunkten geworden.

Jelineks Interesse gilt jenen Dichterleben, denen Anknüpfungen an eine bürgerliche Existenz nach gewohnten Bahnen versagt blieben. „Mich interessieren also Dichter, die abseits gehen und fremd bleiben, auch sich selbst fremd. Verstörte, als wollten sie sich bis zuletzt an etwas festhalten, bevor sie ihr eigenes Denken in den Verfall führt und sie den Verstorbenen nachsterben müssen.“

Der Protagonist dieser dichterischen Radikalität, die sich über die Zweckorientierung des gewöhnlichen Lebens und das Preisschild auf den Dingen nicht akzeptiert, ist Robert Walser (1878–1956), der die letzten 23 Jahre seines Lebens im Irrenhaus verbrachte, dem „Kloster der Moderne“ (Elias Canetti). Hölderlin, Walser, Friedrich Glauser, die Herausgefallenen zwischen „den Göttern und dem Volk“ (Heidegger), sind keineswegs Opfer, auch wenn ihr Leiden nicht geleugnet werden darf. Ihr Rückzug, ihr Verstummen erkauft eine Autonomie, die im Leben nicht beschieden ward. Die Sprache der Dichter läßt sich nicht mehr in die diskursive Sprache des Alltags rückverflüssigen. Bewunderung und Befremdung. Bei Walser klammern sich die Siegelbewahrer des autonomen Subjekts an eine Diagnose, von der sie selbst wissen, daß sie ihnen keine Sicherheit bietet: „Schizophrenie?“ steht in seiner Krankenakte.

Jelineks Dichterwahl demontiert gängige Konzepte der Subjektkonstitution, die ohnehin nur metaphysische Abbilder der Marktgesellschaft sind. Normal ist, wer des Menschen Wolf ist, sich aber an die Regeln der Wolfsgesellschaft hält. Der Wahn ist nicht selbst eine widerständische Kraft. Aber aufgehoben in der Wahrheit des Dichters verbürgt er, daß die Konkurrenz autonomer Egoisten vielleicht doch nicht unveränderliche Natur ist. Jelineks Weg der Annäherung ist nicht Wissenschaft, sondern wissende Einfühlung, erlernt bei Elias Canetti: „Ich frage mich, ob es unter denen, die ihr gemächliches, sicheres, schnurgerades akademisches Leben auf das eines Dichters bauen, der in Elend und Verzweiflung gelebt hat, einen gibt, der sich schämt.“ Als unerwarteten Zusatznutzen bringt die Jelineksche Passion für Walser den Festspielen eine Uraufführung. „er nicht als er“, ein Text von Elfriede Jelinek nach und über Robert Walser. Die streng oratorienhafte Inszenierung von Jossi Wieler mit Marlen Diekhoff, Ilse Ritter, Lore Stefanek und André Jung war bislang die einzig wirklich überzeugende Schauspielpremiere in Salzburg. Es gehört zu den Paradoxien der Festspielgebarung, daß Ivan Nagel ausgerechnet deswegen nach diesem Sommer gehen soll. Der Jelinek-Schwerpunkt hat den Schauspieletat überzogen. Nagel hat die Aktie Jelinek zum Tiefststand gekauft, als die Blauhemden von der Haiderpartei sie noch aus dem Land zu ekeln suchten und sich wenige Stimmen in Österreich daran störten. Für dieses gelungene Investment bekommt Nagel nun die Papiere.

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