piwik no script img

„Erst die Not lindern, dann Banken retten"

Japans Kommunistische Partei gewinnt mit Themen wie Umwelt, Krankenversicherung und der Förderung von Kleinbetrieben neue Wähler. Inzwischen sind die reformierten Kommunisten die stärkste Partei auf lokaler Ebene  ■ Aus Osaka André Kunz

Nach einer gewonnenen Wahl dankt der japanische Politiker seinen Wählern mit öffentlichen Auftritten. Ist der Sieger ein Kommunist wie Takeshi Miyamoto, dann trägt er edle Stoffe und strahlt Selbstsicherheit nach allen Richtungen aus. Da ruft ein Bauarbeiter auf dem Heimweg vom Fahrrad herunter: „Omedetto Sensei – Herzliche Gratulation Meister“, und drei Studentinnen wollen dem braungebrannten Mittdreißiger unbedingt die Hand schütteln. Im Bezirk Tamatsukuri-Hommachi kennen die Leute Miyamoto seit seiner Kindheit. Ihm vertrauen sie ihre täglichen Sorgen an.

„Die Kommunistische Partei hat sich nicht verändert, sie hat sich nur verjüngt und die Sprache modernisiert“, sagt Miyamoto später im KP-Hauptquartier Osakas. Im zweistöckigen Gebäude, das einem realsozialistischen Plattenbau gleicht, herrscht emsiges Treiben. Zwei junge Frauen surfen an Computerbildschirmen im Internet. Daneben sitzt eine Gruppe älterer Herren, die rauchend Listen ausfüllen. Chaotisch türmen sich Bücher- und Papierstapel auf Holztischen aus den sechziger Jahren.

Mit äußerlichen Widersprüchen lebt Japans KP problemlos. In den vergangenen vier Jahren hat sie ihr marxistisch-leninistisches Erbe schrittweise über Bord geworfen und Themen wie die Umwelt, Senioren und wirtschaftliche Förderprogramme an der Basis in den Vordergrund gerückt. Marxistisch ist sie nur in ihrer Grundforderung geblieben. „Erst muß die Not der ärmeren Schichten gelindert werden, bevor öffentliche Gelder für die Rettung von bankrotten Banken und fetten Baufirmen ausgegeben werden“, sagt Miyamoto mit fast donnernder Stimme.

Der Grund, weshalb die regierende Liberaldemokratische Partei (LDP) in städtischen Bezirken Japans in der letzten Oberhauswahl keinen einzigen Sitz gewonnen habe, liege in der verfehlten Wirtschaftspolitik, die Japan in die tiefste Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg gestürzt hat. Dies hat die Kommunisten beflügelt, die heute eindeutig mehr sozialdemokratische als leninistische Züge vorweisen. Sogar der Hammer und die Sichel sind aus den offiziellen Logos fast verschwunden.

So bekam Miyamoto in der letzten Senatswahl mehr als 725.000 Stimmen und scharte damit über 20 Prozent der Wähler Osakas hinter sich. Landesweit gewannen die Kommunisten 15 Mandate dazu und sind nun die drittstärkste politische Kraft im Parlament. Beliebt sind die Kommunisten bei ihren Wählern, seit die Parteiführung den regionalen Sektionen mehr Selbständigkeit zugesteht und wirtschaftspolitische Initiativen an der Basis anregt. Dazu gehören Symposien mit Wirtschaftsverbänden für kleinere und mittlere Unternehmen, in denen über genossenschaftliche Selbsthilfeprojekte diskutiert wird. Landesweit hat die KP in zwei Jahren über 450 solcher Symposien organisiert und damit Stimmen aus dem eher konservativen Kreis von Familienbetrieben hinzugewonnen. Der Wähleranteil stieg in sechs Jahren von 7,8 auf 14,6 Prozent.

Die KP sorgt sich um die Nöte der kleinen Leute

Die kommunistische Basisarbeit ist für Osaka und das Umland dringend notwendig. Die Arbeitslosenrate in der Region Kansai, zu der die Städte Osaka, Kobe und Kioto mit Umland gehören, liegt bei fast sechs Prozent, während sie landesweit offiziell mit 4,1 Prozent angegeben wird. Miyamoto, der mit 18 Jahren in die KP eingetreten ist, kennt nach zwanzig Jahren Parteiarbeit die Nöte der Bewohner in seinem Viertel. So schlecht wie jetzt sei es den kleinen Handwerkern noch nie gegangen.

So mußte der Spengler Hori gleich neben dem KP-Hauptquartier nach 30 Jahren das erste Mal zwei Mitarbeiter nach Hause schicken. Das Auftragsbuch für das zweite Halbjahr sei leer. So gehe es den meisten Kleinbetrieben im Viertel. Die Konkursrate unter den kleinen und mittleren Betrieben ist exponentiell gestiegen. Mehr als 20.000 Betriebe werden allein im laufenden Jahr ihre Tore für immer schließen und den Berg von Schulden, der auf dem japanischen Finanzsektor lastet, weiter anschwellen lassen.

Makoto Kuchihara, ein Genosse Miyamotos, arbeitet im Nachbarkreis Higashi-Osaka als Gemeinderat noch immer an der Basis. Der ehemalige Spitalsekretär befaßt sich mit Fragen der Krankenversicherung und hat in seiner 18jährigen Karriere als KP- Mitglied an Hunderten von Bürgerinitiativen teilgenommen. „Die Stimmung hat sich seit dem vergangenen Jahr dramatisch geändert“, sagt Kuchihara. Viele ältere und sozial benachteiligte Menschen seien nach der Erhöhung der Krankenkassenprämien um fast 15 Prozent im September 1997 zu Fürsorgefällen geworden. Viele dieser Leute wüßten gar nicht, an welches Amt sie sich für Hilfe wenden können, und seien innerhalb kurzer Zeit in Armut gefallen.

Kuchihara und seine Genossen haben mit anderen Freiwilligen zusammen ein Infotelefon gestartet, das über Fragen der Krankenversicherung berät. Erst mit der Krise kommt zum Vorschein, daß solche Einrichtungen in Japan völlig unterentwickelt sind. Das habe damit zu tun, daß Japan als zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt umgerechnet jährlich 680 Milliarden Mark für Infrastrukturbauten ausgebe, dagegen nur 270 Milliarden Mark für Sozialausgaben. „Sogar die USA mit ihrer neoliberalen Wirtschaftspolitik geben viermal mehr für Soziales als für die Bauindustrie aus“, rechnet Kuchihara vor.

Im 700 Meter weiter entfernten Schloßpark von Osaka können die Folgen einer solch unsozialen Politik für ungelernte ältere Arbeitslose beobachtet werden. Masahiko T. und sein Kollege Hiroshi K. haben mit rund 1.500 anderen Obdachlosen unter Bäumen ihr Zelt aufgeschlagen. Masahiko lebte bis vor zwei Monaten in einer kleinen Wohnung und arbeitete als Tagelöhner auf dem Bau. „Momentan hab' ich keine Chance, auch nur einen Halbtagsjob zu finden“, sagt Masahiko. Anfangs marschierte er noch jeden morgen um vier Uhr zur nahegelegenen Kreuzung und wartete drei Stunden auf ein Angebot von irgendeiner Baufirma, die für besonders gefährliche Jobs meistens Tagelöhner für 170 Mark pro Tag anheuert. Vergeblich.

Seither verpflegt sich Masahiko zweimal pro Tag in der Suppenküche einer katholischen Kirche und bettelt sich das Kleingeld für eine Flasche Reisschnaps in der nahen Einkaufsstraße zusammen. Zum Zeitvertreib liest er ein Buch über die Mafiaorganisation Yakuza, die in Osaka gerade Leute rekrutiert. „Hab' mir schon überlegt, da mal mitzumachen, wenn es sonst keine Jobs mehr gibt“, sagt Masahiko offen. Sein Kollege Hiroshi sitzt stumm daneben und spielt mit der Katze „Pepe“. Überraschend wirft er zum Schluß ein: „Das ist doch kein Leben mehr. Schau, die Katze Pepe ist zu meinem wichtigsten Gesprächspartner geworden. Seitdem ich nur noch mit ihr rede, denke ich immer öfter an Selbstmord.“

Der Kommunist Kuchihara findet die Verhältnisse im Schloßpark skandalös. Der Stadtregierung von Osaka fehlt das Geld für die Betreuung der Obdachlosen, da sie mit einer Verschuldung von nahezu 200 Prozent des städtischen Bruttosozialproduktes technisch bankrott ist. Das bringt Kuchihara in Rage, weil in den vergangenen drei Jahren mehr als 40 Bauskandale aufflogen, bei denen Baufirmen über illegale Preisabsprachen Milliarden abgezweigt hatten. Augenfälligstes Beispiel sei der vor vier Jahren eröffnete Internationale Flughafen Kansai, der fast doppelt so teuer wurde wie geplant. An diesem Projekt hätten sich große Baufirmen und LDP- Politiker schamlos bereichert.

„Die Finanz- und Baukrise in Osaka ist das beste Beispiel für die grundsätzlich falsche Regierungspolitik der LDP“, sagt Takeshi Miyamoto, der nun als Abgeordneter im Tokioter Oberhaus direkt auf die nationale Politik Einfluß nehmen kann. Nach dem überwältigenden Wahlsieg am 12. Juli können die KP-Abgeordneten erstmals in der 75jährigen Geschichte der Partei Gesetzentwürfe eingeben, über die das Gesamtparlament abstimmen muß. Damit erhält die KP auch die Möglichkeit, bei der Haushaltsplanung aktiv mitzureden.

Marxistisch-leninistisches Erbe über Bord geworfen

So wie die KP-Parteiführung fordert Miyamoto nach dem Wahldebakel der Regierungspartei die schnelle Auflösung des mächtigeren Unterhauses, um bei Neuwahlen die LDP definitiv aus der Regierung zu jagen. Die KP hat allen Grund, solche Forderungen zu stellen. Obwohl die Partei bei Wahlen auf nationaler Ebene nur etwa ein Sechstel der Stimmen erhält, bekommt sie in städtischen Arbeiterbezirken bis zu 60 Prozent. So ist es nicht erstaunlich, daß die KP in Lokalparlamenten heute mit 4.089 Abgeordneten landesweit die stärkste Partei ist. Die LDP folgt ihr auf dem zweiten Platz mit weniger als 3.800 Abgeordneten. Das Mißverhältnis zwischen lokalen und nationalen Wahlen hat damit zu tun, daß eine Stimme aus ländlichen Regionen in einem nationalen Wahlgang fünfmal mehr Gewicht hat als eine Stimme aus den Städten.

Eine große politische Wende in Japan steht nach Miyamoto kurz bevor. Die falsche Wirtschaftspolitik der LDP habe das Volk sensibilisiert. Nun werde auch die Regierungspolitik in anderen Bereichen in Frage gestellt. Die Kommunisten wollen die Kritik ausweiten und grundsätzlich über den Verteidigungspakt mit den USA und die Umwelt- und Bildungspolitik der letzten 50 Jahre diskutieren. „Ein neues Regierungssystem muß her, das dem Volk über Referenden und andere demokratische Mitbestimmungsformen seine Souveränität zurückgibt“, fordert Miyamoto. Die Zeit, in der ein Klüngel konservativer Politiker und eine übermächtige Bürokratie das Volk gängelten, sei definitiv zu Ende.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen