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Anonyme Hinweise für den Staatsanwalt

■ Eine private Initiative richtet eine Online-Meldestelle für Kinderpornographie ein. Sie meint, das „Vertrauensverhältnis zwischen Netznutzern und Polizei“ sei „empfindlich gestört“

Seit letzten Freitag können Webmaster ihre Seiten mit einem neuen Markenzeichen verzieren. Es liegt unter www.heise.de/ct/ Netz_gegen_Kinderporno/ in mehreren Größen zum Herunterladen bereit und besteht vor allem aus einem dicken schwarzen Balken. Ein Schelm, wer dabei an ebendie Zensur denkt, die vor kurzem noch mit dem blauen Band der Meinungsfreiheit bekämpft wurde. Unter dem schwarzen Balken steht in roter Schrift das Wort „Kinderporno“, und dabei hört der Spaß bekanntlich auf.

„Netz gegen Kinderpornos“ heißt die Initiative, die das Gesinnungszeichen erfunden hat. Sie geht zurück auf den Heise-Verlag in Hannover. Unterstützt wird sie bislang vom Deutschen Kinderschutzbund, dem „Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung“ (FIFF) und von den Online-Redaktionen sowohl des Spiegels wie auch des Sterns. Zu den Erstunterzeichnern gehören außerdem ein Oberstaatsanwalt in Hannover, ein Professor für Computerkriminalität in Trier, der Verein „Schulen ans Netz“ in Bonn und die Nachrichtenredaktion des Privatsenders RTL in Köln.

Keine Wahlkämpfer also, sondern eine Koalition, von der man annehmen darf, daß sie einigermaßen weiß, wovon sie redet. Erstaunlich ist sie dennoch. Der Kinderschutzbund fordert seit Wochen „gezielte Sofortmaßnahmen von Providern und Behörden“. Die Online-Redaktionen von Spiegel und Stern dagegen warnen lieber vor Überreaktionen, und der Heise-Verlag, der außer den Computerzeitschriften c't und ix auch das Online-Feuilleton „Telepolis“ herausgibt, gehörte bislang schon aus Gründen der technischen Sachkompetenz ebenfalls nicht zu Vorreitern von Forderungen, die entweder illusorisch oder mit dem Schutz der Privatsphäre im Netz unvereinbar sind.

Doch nun ist die Geduld selbst hier zu Ende. Auch die „Gemeinsame Erklärung“ der Initiative stellt zwar noch fest, das „offene Kommunikationsmedium“ des Internets sei keineswegs „der Hauptumschlagplatz für Kinderpornographie“. Aber die bloße Wiederholung solcher Argumente sei „ein bißchen schwach“ meint c't-Redakteur Axel Kossel. „Wir wollen zeigen, daß auch wir etwas tun wollen“, sagt er, „die Leute glauben doch nur, was sie zuletzt in der Zeitung gelesen haben.“ Kossel will die fruchtlose Debatte auf seine Weise benden. Das Magazin hat auf dem Verlagsrechner eine sogenannte „neutrale Meldestelle“ programmiert, an die Hinweise auf Kinderpornographie online geschickt werden können.

Ein Formular, in das Adresse, Fundzeit und Charakter des verdächtigen Fundstücks einzutragen sind, liegt auf der Website der Initiative bereit – die eigene Mail- Adresse und Telefonnummer sind „optional“, denn der Verlag hat einen Service ganz eigener Art anzubieten: „Das Zeugnisverweigerungsrecht der Journalisten ermöglicht c't, die Identität der Hinweisgeber zu schützen“, heißt es in den Erläuterungen zum Anzeigenformular. Die Hinweise werde das Magazin „anonymisiert an die Strafverfolgungsbehörden weiterleiten“ und selbst nur „für die weitere Berichterstattung auswerten“.

Über 40 Anzeigen sind bisher bei der Meldestelle eingegangen. Bloß weiß Kossel noch nicht so recht, wohin damit. Die Gespräche mit der Polizei seien noch im Gange. Die Redaktion des Magazins will lediglich die offensichtlich unseriösen Meldungen aussondern und die anderen weiterleiten, aber nur an Dienststellen, die „Erfahrung mit dem Internet haben“.

Davon gibt es nicht allzu viele, beklagt nicht zuletzt der Bund Deutscher Kriminalbeamter. Immerhin arbeite im Landeskriminalamt Niedersachsen inzwischen eine „deliktübergreifende Datenverarbeitungsgruppe“ an dem Problem, hat Kossel herausgefunden. Am liebsten schickte er sein Material aber nach Bayern. Die Sondereinheit, die dort im Internet surft, ist das Vorbild von Klaus Finke, Oberstaatsanwalt, Leiter der „Zentralstelle für jugendgefährdende Schriften in Niedersachsen“ und Erstunterzeichner der Initiative. Auch er meint, daß die Entgegennahme von Anzeigen auch digitaler Straftaten eigentlich Aufgabe der Polizei und nicht privater Initiativen sei, bedauert aber, daß „mache Leute eben nicht zur Polizei gehen“. Dafür hat die Grundsatzerklärung der Initiative eine naheliegende Erklärung zur Hand: „Das Vertrauensverhältnis der Netzbenutzer zu Polizei und Staatsanwaltschaften ist empfindlich gestört“, heißt es in dem Text. Wohl wahr, die Ermittungen gegen die Zeitschrift radikal und die PDS-Politikerin Angela Marquardt sind noch nicht vergessen.

Die Initiative will nun wenigstens verhindern, daß private Anzeigen von Kinderpornographie ihrerseits mit Strafverfahren beantwortet werden, wie in einem Fall in Bayern geschehen. Allerdings warnt gerade der Fachmann Finke im Interview mit c't vor einer „Freikarte“ für private Netzcops. Er findet es „wenig glaubhaft“, wenn Kinderpornos angeblich nur als Beweismaterial wochenlang auf Disketten gesammelt wurden. Deshalb sei die Initiative nur die zweitbeste Lösung. „Was wir vor allem brauchen“, sagt der Oberstaatsanwalt am Telefon, sind „anlaßunabhängige Kontrollen durch die Polizei“, etwa von Chat-Räumen und Mailboxen, wie sie bislang allein nach bayrischem Recht erlaubt sind. „Das muß man in den anderen Bundesländern angleichen“, fordert Finke, dann sei die private Meldestelle auch in Niedersachsen „nicht mehr nötig“. Niklaus Hablützel

niklaus@taz.de

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