Mal mehr, mal weniger emanzipiert

Auf Frauentouren in Neukölln: Claudia von Gélieu führt auf Spaziergängen durch die Hasenheide und hat auch ein Buch über „wegweisende Neuköllnerinnen“ geschrieben  ■ Von Jeanette Goddar

Für ihre fast 80 Jahre ist Elli K. noch erstaunlich gut zu Fuß. Zwar stützt sich die weißhaarige Dame mit dem Pagenschnitt immer mal wieder auf ihren Regenschirm, aber ansonsten macht sie die Wanderung durch die Hasenheide wacker mit.

Schließlich sei sie früher ganz andere Strecken gelaufen, erzählt sie, jeden Morgen von der Kreuzberger Admiralstraße bis nach Tempelhof; Trümmer klopfen, ausgemergelt, wie sie war. „Dit waren Zeiten“, schüttelt sie den Kopf, „aber wenn wir das geschafft haben, schaffen wir den Rest auch noch.“

Viel lieber erinnert sie sich an die lustigen Zeiten: als sie noch lange vor dem Krieg auf der Bühne der „Neuen Welt“ vorturnen durfte und daß sie „mit Volkstanz nie was am Hut hatte“. Oder wie das damals war in der Dieffenbachstraße, auf einer Schule mit den Jungs, wo es doch fast nur getrennte Schulen gab.

Für Elli K., die noch heute in der Oranienstraße lebt, war der gestrige Tag so etwas wie eine persönliche Zeitreise; für die meisten anderen Frauen schlicht ein Ausflug in die Vergangenheit ihres Kiezes. Unter dem Motto „Frauengeschichte in der Hasenheide“ waren etwa 25 Frauen zusammengekommen, um Claudia von Gélieu, Autorin des Buches „Wegweisende Neuköllnerinnen“, beim Gang durch die meist unbeachtete Seite der Geschichtsschreibung zu begleiten.

Dabei war gerade die „Neue Welt“ zuweilen fest in Frauenhand — mal mehr, mal weniger emanzipiert. Hier stritten noch vor dem Ersten Weltkrieg 4.000 Frauen, unter ihnen Clara Zetkin, über einen möglichen „Gebärstreik“. Hier wurde 1926 der „tiefste Rückenausschnitt“ prämiert; hier wurde im Zweiten Weltkrieg den besonders gebärfreudigen Frauen das „Mutterkreuz“ verliehen. Von einer Neuköllnerin ist überliefert, sie habe Führers Ehrung dankend abgelehnt — schließlich habe sie mit ihren Kindern „eigentlich Kreuz genug“.

Auch im Volkspark Hasenheide muß man suchen, um die Spuren weiblicher Geschichte zu entdecken. Das 1956 errichtete Denkmal für die Trümmerfrauen von Katharina Singer stand früher oben auf dem Hügel, wurde aber inzwischen in einen abgelegenen Nebenweg verlegt. Auch die große Wiese, auf der der Ehemann von Elisabeth von Ardenne deren Liebhaber zum Duell herausforderte und dabei tötete, hat zwar ihren Eingang in Theodor Fontanes „Effi Briest“ gefunden, aber offenbar niemanden zu einer Erinnerungstafel provoziert. Abgerissen wurde auch die „Liegehalle für Mütter“, in der tuberkulosekranke Frauen in den 20er Jahren „Tageskuren“ machen durften, bevor sie sich wieder in den Dienst ihrer Familie stellten.

Getragen wurde die Halle vom „Vaterländischen Frauenverein“, nur einer von zahlreichen Frauenvereinen, der versuchte, den Zuzug unbemittelter Arbeiter- und Bauernfamilien sozial abzufedern. In Eigeninitiative organisierten Neuköllner Frauen Hauspflege, Näh- und Kochkurse, aber auch Schreibmaschinenunterricht, Mütterkuren und Kindervolksküchen. Mit der Forderung nach Gleichberechtigung, wie sie von der Neuköllner Arbeiterinnenbewegung vehement gefordert wurde, wollten die sozialen Initiativen allerdings nichts zu tun haben.

So wären sie wohl auch nicht willens gewesen, die bis heute unumstrittene Hoheit des Vaters der deutschen Turngeschichte, Friedrich Ludwig Jahn, über den geschichtsträchtigen Park, der immer wieder zur körperlichen Ertüchtigung potentieller Kämpfer für das Vaterland diente, anzuzweifeln. Seit nunmehr über 100 Jahren residiert seine Statue über dem Volkspark, der an sportlicher Aktivität heute nur noch ein paar Jogger oder Federballspieler erlebt. Auf den unzähligen Tafeln, die Jahn auf seinem Sockel umgeben, findet sich kein einziger Frauenname. Dabei, so weiß Elli K., zu berichten, gab es zumindest in den 20er Jahren dieses Jahrhunderts schon eine Menge sportlicher Frauen. So war ihr bis gestern überhaupt nicht aufgefallen, „daß in meinem Verein viel mehr Jungs gewesen sein müssen“.

Auch wenn Neukölln seit 1996 über das erste Frauenviertel Deutschlands verfügt, in dem alle Straßen nach Frauen benannt wurden, ist der Bezirk noch heute sicher keine Bastion des Feminismus. Seit ein paar Monaten ist mit von Gélieus Buch immerhin auch die Geschichte „Von der Britzer Prinzessin zur ersten Stadträtin“ nicht mehr völlig verschüttet.

„Wegweisende Neuköllnerinnen“, Claudia von Gélieu, Trafo Verlag Dr. Wolfgang Weist, 288 Seiten, 29,80 Mark. Das Programm der „Frauentouren“ kann bestellt werden unter Telefon 6261651 oder 2810308.