: Spontan, unverbindlich und schnell am Ende
■ Protest heute ist gestrickt nach subversiv-chaotischen Mustern: kurzfristig und pragmatisch
Im Rahmen des Vereins Netzwerk Selbsthilfe e.V. entwickelt sich seit etwa einem Jahr das Jugendprojekt „Klondike“. Neben der unabhängigen Förderung durch Jugendliche will „Klondike“ Vernetzungsarbeit zwischen den Initiativen, die Suche nach Bündnispartnern sowie Lobbyarbeit für selbstorganisierte Kinder- und Jugendprojeke leisten. Um erste Mittel zu mobilisieren, organisierte Klondike dieses Jahr das „Festival der Begegnung“. Im Mittelpunkt standen Kontakt und Austausch unter marginalisierten Jugendlichen. Sehr wichtig war der „Spaßfaktor“: So ging es weniger um die politische Einordnung und Zielbestimmung eines vom Staat unabhängigen jugendlichen Förderfonds als darum, Konzerte und Partys zu organisieren, durch die sich zudem auch Geld einspielen läßt. Protestverhalten von Jugendlichen ist eher pragmatisch und orientiert sich nicht unbedingt an gesellschaftlichen Utopien, sondern an dem unter den derzeit gegebenen gesellschaftlichen Verhältnissen konkret Machbaren. Die Gefahr einer zu aktionistischen Herangehensweise droht: Relativ schnell wurde durch die Initiativgruppe des Jugendförderfonds die Idee eines solchen Festivals geboren, denn diese konkrete Aktion erschien viel faszinierender als langwierige konzeptionelle Vorarbeiten und Strategiediskussionen. Kontinuität der Mitarbeit und längerfristige Strategien zur Entwicklung des Fonds bleiben fraglich.
Im Herbst 1996 entstand die Idee, die Entwicklung der Innenstädte hin zu gehobenem Konsum, spekulativer Privatisierung von öffentlichem Raum, verschärfter Sicherheitspolitik, Drogenhysterie und Rassismus zu thematisieren. Während der „Innenstadt-Aktionswoche“ gab es zum Beispiel einen Rave in einer durch eine EC- Karte geöffneten Sparkasse, eine „Bonzenparade“ und ein Picknick auf dem privatisierten Los-Angeles-Platz. Die OrganisatorInnen waren größtenteils über 26 Jahre alt, die TeilnehmerInnen aber vorwiegend Jugendliche, die die herkömmlichen Aktionsformen für unzureichend hielten. Die neue Form der „Spaßaktion“, eine lockere Angelegenheit ohne lange Vorbereitung und Verbindlichkeit, traf die Bedürfnisse der Jugendlichen gut. Ziel war die Thematisierung einer sichtbaren Politik wie der Vertreibung von „Randgruppen“ aus den Innenstädten. Primär vermittelten die Aktionen Erlebnis und Spaß.
Das Berliner „Bündnis gegen Sozialkürzungen und Ausgrenzung“ war ein Zusammenschluß von über 100 Gruppen, die ab dem Winter 1995 ihren Protest gegen den Sparhaushalt bündeln wollten. Auch hier zeigten sich neue Protestzusammenhänge in einem Nebeneinander unterschiedlicher Gruppenkulturen, politischer Ausrichtungen und der Vielfalt der Forderungen. Das Sozialbündnis als Netzwerk unterschiedlichster politischer Zusammenhänge (von Linksautonomen bis zur Kindertagesstätte) akzeptierte diese heterogene Konstellation. Nicht nur das: Die Solidarisierung unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppierungen war ein zentrales Element des Bündnisses. Die neuen Protestformen zeigten sich auch darin, daß die Forderungen sehr pragmatisch waren. Der kleinste gemeinsame Nenner hieß: „Den Haushalt kippen!“
Offenheit für viele politische Kulturen und Pragmatismus der Forderungen – immerhin gingen bis zu 35.000 Menschen auf die Straße – zeugten auch von Schwächen. Mit der Verabschiedung des Sparhaushaltes fanden die Mobilisierungserfolge nach außen ihr Ende. Die Konzentration auf eine Forderung ohne symbolische Integrationskraft schwächte das Bündnis auch nach innen, was zur Aufgabe von Mitstreitern, Uneinigkeit über weitergehende Positionen und Rückzug auf Gruppeninteressen führte.
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