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Vom weichen Sessel auf die harte Bank

■ Volksbank-Chef Misgeld wurde am Mittwoch wegen Verdachts des Betruges in 655 Fällen verhaftet. Immobilienanleger geprellt

Branchenkenner können sich nicht erinnern, daß so etwas je vorgekommen ist: Ulrich Misgeld, Vorstandssprecher der Berliner Volksbank, wurde am Mittwoch verhaftet und sitzt seitdem im Untersuchungsgefängnis. Die Staatsanwaltschaft beim Landgericht wirft dem Chef der größten deutschen Volksbank gemeinschaftlich begangenen Betrug und Untreue in 655 Fällen vor.

Misgeld soll einer Immobilienfirma geholfen haben, für zwei Baufonds 131 Millionen Mark von privaten Anlegern akquiriert zu haben, obwohl „allen Beteiligten bekannt war, daß die Garantien wegen der desolaten Lage der Unternehmensgruppe wertlos waren“, begründet die Staatsanwaltschaft. Ebenfalls hinter schwedischen Gardinen sitzt der frühere Chef der Unternehmensgruppe, Peter Schiansky.

Restvorstand und Aufsichtsrat der Volksbank (Bilanzsumme 1997: 14,8 Milliarden Mark) sprachen ihrem Chef gestern „das uneingeschränkte Vertrauen aus“. Die Verhaftung sei nicht „nachvollziehbar“, weil keine „Fluchtgefahr“ bestehe. Fünf weitere Haftbefehle, unter anderem gegen Volksbank-Mitarbeiter wurden wegen Krankheit nicht vollstreckt oder gegen Kaution ausgesetzt.

Zwischen 1993 und 1995 wurden für die beiden Immobilienfonds Anlagegelder in Höhe von 64 und 67 Millionen Mark beschafft. Derartige Fondsprojekte bündeln privates Kapital, um teure Bauprojekte zu realisieren. Nach Einschätzung der Ermittler finanzierte die Volksbank dem Berliner Unternehmen, das die Fonds aufgelegt hatte, „umfangreiche Kredite“ und zeichnete „erhebliche Blankoanteile“ an den Bauvorhaben. Damit wurden die Anleger verleitet, ebenfalls ihr Geld in die windigen Projekte zu stecken. Das Engagement der Volksbank und daraufhin der Anleger standen aber in keinem Verhältnis zur finanziellen Kraft des Immobilienunternehmens. Ein Ergebnis: Die Anleger müssen nun Gelder in Millionenhöhe nachschießen, damit die Fonds nicht pleite gehen. Um welche Projekte es sich handelt, wurde nicht mitgeteilt.

Die Volksbank streitet die Vorwürfe nun ab. Das Gutachten einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft widerspreche den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft. Das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen allerdings hatte im Juli die Überprüfung der Volksbank angekündigt. Wegen hoher Verluste im Immobiliengeschäft und eines ähnlichen, inzwischen aber eingestellten Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Potsdam, wurde schon mehrmals über die bevorstehende Ablösung des früheren Deutsch-Bankers Misgeld spekuliert, der sein Amt bei der Volksbank 1995 angetreten hatte. Bald könnte es soweit sein. Die Verhaftung des Volksbankers ist deshalb von großer Bedeutung für das Berliner Bankenwesen. Bislang wiedersetzte er sich der Fusion mit der Grundkredit-Köpenicker Bank, die nun in greifbare Nähe rücken könnte. Hannes Koch

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