: Umdenken mit Hilfe der Kinder
Früher stand Karl Ludwig Schweisfurth einem Fleisch- und Schlachterimperium vor. Heute zählt er zu den vehementesten Kämpfern für einen nachhaltigen Umgang mit der Umwelt. Anders als viele andere Ökobetriebe wird sein Unternehmen sogar bald schwarze Zahlen schreiben können. Inzwischen klopfen auch die Macher der Expo 2000 in seinem Betrieb an, um mit seinem Musterprojekt international zu renommieren ■ Von Martin Rasper
Empfindsamen Gemütern soll hier schon die Lust am Essen vergangen sein: In dem Wirtshaus der Hermannsdorfer Landwerkstätten hängt ein Gemälde von Norbert Tadeusz, das zwei frisch geschlachtete Rinder zeigt. Die am Haken hängenden Leiber sind der Länge nach zerteilt, so daß man den gespaltenen Brustkorb sieht. Kopf und Füße fehlen, aus Hals und Beinen strömt das Blut. Wer den Blick von dem Bild ab- und der Speisekarte wieder zuwendet, findet dort unter anderem den Rindsbraten mit Blaukraut für 26 Mark. Guten Appetit!
Karl Ludwig Schweisfurth weiß sehr genau, was er seinen Gästen zumutet. „Ich will, daß die Leute dessen bewußt werden, daß ein Tier getötet worden ist, damit sie sein Fleisch essen können“, sagt er und haut mit der flachen Hand rhythmisch auf den Tisch, jeden seiner Sätze unterstreichend. Lieber verzichtet er auf Kunden, als daß er von seiner Überzeugungsarbeit absähe. Und wenn einer durch die Konfrontation zum Vegetarier wird – auch gut.
Kein Zweifel: Der Mann, der in seinem früheren Leben über das größte Fleisch- und Wurstimperium Europas gebot (“Herta – wenn's um die Wurst geht“), bis er vor vierzehn Jahren einen radikalen Bewußtseinswandel vollzog, ist gnadenlos und penetrant wie alle Konvertierten.
Der 68jährige gelernte Metzger, Ökounternehmer, Kunstsammler und Stiftungsgründer ist Macher und Schöngeist zugleich. Ein Provokateur, der seinen alten Filzhut mit dem notorischen Schinkenanstecker auch schon mal zu offiziellen Anlässen trägt. Und einer, der keine Angst hat vor Gefühlen. Eine eigenartige Mischung aus Pathos und Ernsthaftigkeit waltet da, etwa wenn er in seinem Buch „Auf der Suche“ die Gefühle beschreibt, die er bei der Tötung eines Tieres empfindet: „Ein Schuß. Das Zusammenbrechen. Ein Stich. Mit dem Blut entweicht das Leben, ich spüre das mit der Hand, über die das warme Blut rinnt. Ich rede mit dem Tier, ich sage ihm, daß es mir leid tut und daß ich traurig bin, und tröste es damit, daß eine andere Kraft auch mich eines Tages töten wird. Ein letztes Zittern, und die ,Seele' ist wohl entschwunden. Jetzt ist es Fleisch. Ich bin innerlich zutiefst erregt.“
Kitschig? Vielleicht. Doch dem Mann ist es ernst. Schließlich hat er in Hermannsdorf eine Vision verwirklicht. Und die heißt: naturgemäßer Anbau. Nachhaltigkeit. Kurze Wege. „ÖQ-logische Qualität.“ Auf dem Landgut bei Glonn, fein gelegen in der Voralpenlandschaft südöstlich von München, findet sich das komplette Programm einer zukunftsfähigen Wirtschaft in die Realität umgesetzt: Erzeugung vor Ort, mit ökologischem Landbau und artgerechter Tierhaltung; Schonung der Ressourcen und Rückführung in den Kreislauf, etwa beim Wasser. Verarbeitung vor Ort, nach alter handwerklicher Kunst, aber mit moderner Technik: Metzgerei, Käserei, Bäckerei, Brauerei. Verkauf vor Ort, in einem geräumigen Laden mit geschulten Verkäufern – „damit auch wieder Bedienung stattfindet“. Und Vermarktung in der Region, das heißt in sieben Läden und Verkaufsständen in München; größere Entfernungen sind tabu. Als Abrundung des Ganzen – und zwar „nicht als Sahnehäubchen obendrauf“, sondern als Bestandteil eines umfassenden Kulturbegriffs – dient die Kunst: Gemälde und Skulpturen in den Räumen, Land-Art auf dem Gelände.
Das ist im einzelnen alles nichts Neues, aber in der Summe in Deutschland ohne Beispiel. „Was wir hier machen“, doziert Schweisfurth, „ist neue Arbeit. Es ist nicht Fabrikarbeit, aber es ist auch nicht das alte Handwerk. Das war nämlich eine ganz schöne Plackerei. Wir nutzen die Technik, um den Menschen von der schweren körperlichen Arbeit zu entlasten.“ Wenn in Hermannsdorf eine Riege von Lehrlingen ins Berufsleben entlassen wird, ist das der Lokalzeitung einen zweispaltigen Bericht wert. Metzger, Koch, Fleischfachverkäuferin, Bäckerin, Einzelhandelskauffrau, Landwirt – die Liste müßte jeden Funktionär einer Industrie- und Handelskammer aufjauchzen lassen.
Kein Wunder, daß auch die Späher der Expo 2000 bei den Hermannsdorfern landeten, als sie jemanden suchten, der ihnen ein Projekt des nachhaltigen Wirtschaftens verwirklichen sollte. Und so wird denn zur Zeit am Kronsberg, einem flachen Hügel zwischen Hannover und Laatzen, ein kompletter neuer Bauernhof gebaut – mit hundert Hektar landwirtschaftlicher Fläche und allen Möglichkeiten zur Weiterverarbeitung: Metzgerei, Käserei, Bäckerei, Brauerei, Laden und Wirtshaus. Die Felder sind schon bestellt, Ende dieses Jahres soll der erste Bauer mit seiner Familie und seinen Tieren einziehen, Ende 1999 die gesamte Anlage funktionsfähig sein.
Der Sinn des Ganzen ist einleuchtend, gibt es doch nicht allzu viele Expoprojekte, die das Motto „Mensch – Natur – Technik“ so seriös und so umfassend verwirklichen. Hannovers Oberbürgermeister Herbert Schmalstieg war denn auch bei der ersten Besichtigung der Baustelle aus dem Häuschen: „Der Kronsberghof wird zum Eiffelturm unserer Weltausstellung.“
Schweisfurth wünscht sich mehr solcher Betriebe, die „wie Akupunkturnadeln“ im Umfeld der Ballungsräume sitzen und den nur noch mittels rasender Warenströme funktionierenden Metropolen therapeutische Nadelstiche verabreichen sollen. Dabei macht sich der visionäre Metzger keine Illusion, daß die Industrialisierung der Lebensmittelerzeugung aufzuhalten sein könnte: „Der Mainstream wird weiter in dieselbe Richtung gehen.“ Aber er will wenigstens „die Option offenhalten“, will beweisen, daß es auch anders geht. Ohne Gentechnik, ohne Fließband. Langsamer und besser. Wobei das mit dem Tempo ja auch relativ ist: Wenn in Hermannsdorf ein Schwein schlachtwarm sofort verarbeitet wird, statt erst tiefgefroren und irgendwohin geschickt zu werden, um dann weiterverarbeitet und nochmals konserviert zu werden, ist das schneller und geschickter als bei jedem industriellen Prozeß.
Bevor der Horizont des gebürtigen Westfalen sich derart weitete, hatte er immer auf der anderen Seite gestanden. Geboren 1930 als Sohn eines Fleischfabrikanten, war sein Weg vorgezeichnet: Metzgerlehre, Wirtschaftsstudium, Aufenthalt in den USA. Dort lernte er in den fünfziger Jahren, was in der industriellen Fleischerzeugung Stand der Technik war: Fließbandarbeit, Standardisierung, das neueste in puncto Verarbeitung und Konservierung. „Ich habe an der Industrialisierung der Lebensmittelverarbeitung an vorderster Front mitgewirkt“, sagt er, „und wir fanden das toll damals.“
1964 starb der Vater, Schweisfurth junior wurde zum Herrscher über einen Konzern, den er zum größten Fleisch- und Wursthersteller Europas ausbaute: Herta, dazu Dörffler, Artland und einige kleinere Marken, 5.000 Angestellte, Fabriken in Deutschland, Österreich, Italien und Äthiopien.
„Und irgendwie tauchte dann immer häufiger die Frage auf, was machst du da eigentlich.“ Seine drei Kinder waren es, die die Fragen stellten, ihn immer heftiger kritisierten, sich schließlich von ihm abwandten. Sein Sohn Karl, heute 38 und Geschäftsführer in Hermannsdorf, gibt zu, daß er in dem damaligen Leben des Vaters nichts Nachahmenswertes sehen konnte. Es müssen ziemliche Familiendramen gewesen sein – jedenfalls wurde der Alte zum Umdenken gebracht.
1984 verkaufte Schweisfurth den allergrößten Teil seines Imperiums, vor allem die Firma Herta, und begann in dem Weiler Hermannsdorf mit seinen Landwerkstätten. Seither gilt er den einen als Vorzeige-Saulus-Paulus, der den Weg in ein zukunftsfähiges Wirtschaften weist, den anderen dagegen als falscher Fuffziger, weil er ökologische Erzeugnisse auch an Menschen verkauft, die im 7er-BMW vorfahren.
Er sieht es unideologisch: „Ich bin doch froh, daß die auch kommen. Soll ich die denn abweisen?“ Darin weiß er sich mit seinem Sohn Karl einig, der seit fast zwei Jahren die Geschäfte in Hermannsdorf führt und froh ist, daß der Familienbetrieb endlich eine Gestalt hat, mit der er sich identifizieren kann. Der Landwirt und diplomierte Betriebswirt muß sich jetzt der Aufgabe widmen, den Betrieb in die Gewinnzone zu führen. Denn das ist letztlich der Sinn des Ganzen: Nicht nur zu zeigen, wie so etwas aussehen kann, sondern auch, daß es sich lohnt. „Die idealistische Aufbauphase ist vorbei“, sagt Karl Schweisfurth, „jetzt müssen wir zeigen, daß wir auch rentabel wirtschaften können.“
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