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Nachtschichtfrauen auf Absprung

■ Frauen im besten Alter geben auf / Beim Autozulieferer „Leonie“ haben Männer und ältere Frauen jetzt bessere Chancen

Gleichberechtigung hat Grenzen. Die liegen in Bremen Nord derzeit bei offenbar 14 Mark pro Stunde. Das sind die Erfahrungen der Lilienthaler „Leonischen Drahtwerke“ mit Frauen in der Nachtschicht. Seit die weibliche Belegschaft zum Jahresbeginn Nachtschicht arbeiten muß, um das Bremer Daimler-Werk „Just-in-Time“ rund um die Uhr mit Kabelage zu beliefern, wanderten dort vier festangestellte Frauen ab. Das sind nicht viel – bei 120, die derzeit im Dreischichtbetrieb Kabel verspannen. Doch es könnten schnell mehr werden, fürchtet der Betriebsratsvorsitzende Manfred Behrens.

Dabei fanden die vier, die bereits abgesprungen sind, nichts besonders Gutes. Sie arbeiten heute als Verkäuferinnen, schüttelt der Betriebsrat den Kopf. Bei „Leonie“ kamen sie im Gruppenakkord auf 22 Mark die Stunde. Weil das Stimmungsbarometer an den fünf vollautomatischen Produktionsstraßen in der Werkshalle seit Januar drastisch gesunken ist, organisierte er schon Belegschaftsbefragungen und Mitarbeiterdiskussionen zum Thema Nachtschicht. Jetzt wollen Betriebsrat, Belegschaft und Geschäftsführung nach einem neuen, familienfreundlicheren Arbeitszeitmodell suchen – um die Belegschaft zu halten.

„Jede Kollegin, die geht, kostet den Betrieb bares Geld“, warnt Betriebsratschef Behrens. Bei Neueinstellungen sind deshalb neuerdings ältere Frauen stärker gefragt. „Die springen nicht so schnell ab.“

Unter Bremens Metall-Gewerkschaftern gilt das Lilienthaler Werk als „Eisenach Bremens“ – nach dem hochmodernsten aller Opelwerke im Osten. Entsprechend sind die Arbeitsbedingungen, unter denen die rund 120 Drahtwerkerinnen ihre 35 Stunden-Woche ableisten. Zwölf Kilo Kabel kommen in den Boden jedes Mercedes-C-Modells. Während die vollautomatische Produktionsstraße, an der Frauen die Kabel verspannen und testen, langsam durch die Halle wandert, gehen die Frauen mit. Am wenigsten Beschwerden bekommen dabei Frauen mit 1 Meter 70 Durchschnittsgröße. So sind die Maschinen ausgelegt. Dort, wo die Kabel, die später in den Edelkarossen verlegt werden, schließlich auf die Just-in-Time-Palette wandern, machen die Frauen kehrt. Im Akkordtempo. Nachtschicht ist dabei nicht nur unbeliebt. „Da ist es am ruhigsten“, sagt Martina Bannies.

Die heute 40jährige arbeitete schon mit Drähten, als der Betrieb noch „Otto Zimmermann“ hieß. Sie blieb auch während der Krise und der Rationalisierung, die nach der Übernahme durch den Weltkonzern „Leonische Drahtwerke“(1989) folgte, deren Belegschaft in Deutschland in wenigen Jahren auf 1.500 Beschäftigte schrumpfte. Bannies gehört zu den älteren im Lilienthaler Betrieb, wo der Altersschnitt der Frauen bei 32 Jahren liegt. Sie weiß: „Ohne Nachtschicht wären die Kolleginnen noch hier.“ Aber: „Bei manchen hat der Mann gestreikt, bei anderen die Kinder.“ Ihr selbst macht die 13jährige Tochter seit Januar mehr Sorgen als zuvor. „In der Spätschichtwoche sehe ich sie gar nicht.“ Und der Vater sei kein Mutterersatz. „Für meine Tochter ist gerade jeder Mann ein rotes Tuch.“ Martina Bannies fürchtet, die Jugendliche könnte in eine Clique geraten, ohne daß die Eltern es sofort merken würden. Bei der jüngsten Umfrage über die Nachtschichtprobleme kreuzte sie deshalb „Bedarf an Kinderbetreuung“ an.

„Das Hauptproblem bei Frauen in der Nachtschicht ist, daß sie zuhause nicht entlastet werden“, sagt dazu Friedhelm Nachreiner, Arbeitspsychologe an der Uni Oldenburg. „Die Männer ziehen nicht mit“, sagt auch der Bremer IG-Metallbeauftragte Manfred Muster. Betriebsratschef Manfred Behrens sucht unterdessen nach Lösungen. Die Idee von der 32-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich mußte er aber schon verwerfen. „Ich will nicht noch weniger Geld nach Hause bringen als jetzt schon“, sagt Martina Bannies knallhart. Wie diese Frau, die seit 17 Jahren dabei ist, denken viele; ohnehin ist kaum die Hälfte von ihnen Gewerkschaftsmitglied. Jetzt lenkt er die Diskussion in die Richtung „Freizeit statt Nachtschichtzulage“.

Das bevorzugt auch Martina Bannnies. „Ein Nachmittag, an dem man mal zum Elterngespräch in die Schule geht, oder sonstwas. Sowas würden wahrscheinlich viele gut finden.“ ede

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