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Der bissige Truthahn in der Bürotür

Von wilden Putern, schachbrettartigen Beeten und ordentlich gefalteten Programmzetteln: Ein Freiwilliges Ökologisches Jahr im Umweltzentrum Karlshöhe beschreibt  ■ Malte Weber

Der bedruckte DIN A4-Zettel bekommt in der Mitte einen sauberen Falz und wird zu den anderen in den Karton gelegt. Der nächste folgt und dann noch einer. Auch stupide Arbeiten gehören zum Freiwilligen Ökologischen Jahr beim Umweltzentrum Karlshöhe, erzählt Rika Dierks. Die Hamburgerin hat ihr Ökojahr gerade hinter sich, und während ihre Nachfolgerin Meike Danker Programmhefte faltet, erklärt sie, warum sie nicht sofort nach der Schule eine Ausbildung angefangen hat: „Ich wollte ein Jahr praktisch arbeiten, bevor ich wieder nur Theorie lerne.“

In einigen Wochen beginnt Rika in der Hansestadt eine Lehre als Buchhändlerin; aber zuvor will sie der neuen freiwilligen Mitarbeiterin in Karlshöhe noch einiges zeigen – bei einem Rundgang über das neun Hektar große Gelände. Doch Truthahn Jockel blockiert die Tür. „Wenn er sich so aufbläht, ist er super aggressiv“, weiß Rika und berichtet, wie Jockel jüngst nach Besuchern des Umweltzentrums geschnappt hat.

„Wenn wir ihn nicht umtauschen können, wird er bald geschlachtet“, berichtet die Vegetarierin mit Genugtuung. Sie verläßt wegen des Puters das Haus durchs Fenster und läuft über den Hof zur Werkstatt, wo neben Spaten, Hämmern und Sägen auch ein alter Pflug steht.

Mit dem hat Rika auch schon gearbeitet. „Trecker- und Baggerfahren habe ich gelernt, als ich zusammen mit einem Zivi den Amphibienteich angelegt habe“, erzählt sie. „Und mit einem Pferd vor dem großen Pflug haben wir den Acker umgegraben.“ Das Tier hatten die Karlshöher MitarbeiterInnen sich geliehen, denn neben Geflügel, Katzen und Bienen gibt es im Umweltzentrum nur Ziegen und Schafe.

Bei deren Weiden hinter den Gebäuden angekommen, fällt Rika ihre erste Begegnung mit der Presse ein: „Schon ziemlich am Anfang kam eine Reporterin von Bild der Frau, die unbedingt ein Foto von mir mit einem Schaf im Arm machen wollte. Ich hab' ihr auch den Weg zur Weide erklärt, aber ich hatte vergessen, den Stromzaun auszuschalten“, lacht sie.

Der Zaun trennt die Wiesen von den Gebäuden, den Wegen, die Besucher benutzen, und von den Teichen der Bio-Kläranlage, aus denen Dutzende von Froschaugen herausgucken. Rika geht weiter ins „Urwäldchen“ von Karlshöhe, wo manchmal auch ungebetene BesucherInnen den Naturraum nutzen. „Einmal waren zwei Jungen hier und haben kleine Hanfpflanzen eingesetzt. Die haben sich ganz schön gewundert, als sie am nächsten Tag nicht mehr da waren“, schmunzelt sie und wandert selbstsicher über das mittlerweile vertraute Gelände.

Ihr Freiwilliges Ökologisches Jahr fand nicht nur im Umweltzentrum statt, sondern auch an verschiedenen Seminarorten in Schleswig-Holstein. „Die Kurse bilden erst die theoretische Grundlage für die praktische Arbeit“, erklärt sie. Dabei geht es auch um Vor- und Nachteile des Öko-Jahres. Sicher, räumt Rika ein, könne aus der Akzeptanz des freiwilligen Jahres schnell die Forderung nach einem Pflichtdienst für Frauen wachsen. Aber die Vorteile überwiegen, glaubt sie: „Die Leute werden für das Thema Umwelt und Natur sensibilisiert und haben außerdem die Möglichkeit, nach der Schule ein Jahr lang eine produktive Pause zu machen.“

Eine solche ist auch beim Rundgang angesagt. Denn vor dem Bürogebäude, wo Rika ihre Nachfolgerin und die Presse wieder abliefern wollte, taucht gerade der bösartig blickende Puter auf – deshalb ist es besser, im umzäunten Bauerngarten noch etwas Unkraut aus den schachbrettförmig angelegten Beeten zu zupfen. Freiwillig.

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