: Wasser für Peking
Während das Jangtse-Becken von einer Flutkatastrophe heimgesucht wird, leiden die großen Städte, vor allem die Hauptstadt, unter chronischem Wassermangel. Eva Sternfeld untersucht kenntnisreich die Wasserwirtschaft der chinesischen Führung ■ Von Robert Kaltenbrunner
Als Karl August Wittfogel 1931 seine Analyse der chinesischen Gesellschaft vorlegte, hat er darin das Wasser als entscheidenden Entwicklungsfaktor interpretiert. Seine These, daß die „Entwicklung der ökonomischen Lebenszentren Chinas im Zusammenhang mit den jeweils ausschlaggebenden Formen des Wasserbaus“ steht, ist zwar durch jüngere Forschungen nachvollzogen worden. Gleichwohl löste seine Klassifizierung Chinas als „hydraulische Gesellschaft“ heftige Kontroversen aus. Wittvogel sah Gesellschaften dieses Typs geprägt durch die staatliche Organisation gigantischer Wasserbauten und den Einfluß des dazugehörigen bürokratischen Apparates. Damit war ein Erklärungsansatz für totalitäre Strukturen gegeben, der vor allem im linken Diskurs als einäugig galt.
Gewissen Zügen der alten „managerialen und daher wahrhaft politischen Ökonomie“ ist auch das neue China treu geblieben, wie die Mobilisierung großer Menschenmassen in diversen Großkampagnen verdeutlicht. Und vielleicht sind die Methoden, mit deren Hilfe derzeit der Bau des „Dreischluchtenstaudamm“ am Jangtse erzwungen wird, eine späte Bestätigung der Wittfogelschen Thesen.
Unter dem Titel „Beijing: Stadtentwicklung und Wasserwirtschaft“ hat nun Eva Sternfeld eine profunde Studie vorgelegt, die diesen Hintergrund am Beispiel verdichtet. Die Art und Weise, wie Peking in den letzten fünfzig Jahren umgebaut wurde, erlaubt Rückschlüsse auf das Verhältnis von Städtebau und Macht. Denn pars pro toto läßt sich aus seiner städtebaulicher Entwicklung die Wasserwirtschaft als elementares Kriterium für die Zukunft der Metropolen deuten.
Anfang der 90er Jahre betrug das nutzbare Wasserdargebot in Peking mit 433 Kubikmeter pro Kopf und Jahr nur etwa ein Sechstel des chinesischen Durchschnitts und weniger als die Hälfte dessen, was nach internationaler Definition als Grenzwert für Wasserarmut gilt. Es ist unabweisbar: Pekings Wasser ist knapp. Für den immer kostspieliger werdenden Ausbau der Trinkwasserversorgung sind zwei Faktoren verantwortlich zu machen: Einerseits die vermeintlichen Repräsentationsansprüche an die „neue sozialistische Hauptsadt“, andererseits die Implantation von Stadtentwicklungsmodellen ohne Anpassung an die verhandenen Bedingungen.
Jetzt, da die Folgen immer deutlicher zu spüren sind, wird teuer für die Nichtberücksichtigung bezahlt: Es explodieren nicht nur die Kosten, es entstehen nicht nur ökologische Folgeschäden, sondern es ergeben sich auch zunehmend Nutzungskonflikte mit Gebieten landwirtschaftlicher Produktion. Obgleich nach dem Dürrejahr 1981 der Miyun- und Juairou-Speicher zu Trinkwasserreservoirs umgewidmet wurden – und damit die städtische Wasserversorgung einen vergleichsweise hohen Dezentralisierungsgrad erreichte –, genügt die Versorgung mitnichten den Notwendigkeiten. Diese Konkurrenz mit dem Bewässerungsbedarf der Agrikultur aufzulösen ist bislang nicht geglückt.
Was wäre naheliegender, als die Probleme durch eine Dargebotserweiterung zu lösen? In der Tat streben die chinesischen Wasserbautechnokraten seit fast vier Jahrzehnten an, Wasser aus dem regenreichen Süden Chinas umzuleiten – ein Renommierprojekt, das selbst den Dreischluchtenstaudamm in finanzieller und technischer Hinsicht in den Schatten stellen würde. Ein gigantischer Wassertransfer im Zeichen eines fragwürdigen Modernisierungsverständnisses. Einen Erfolg des Unternehmens vorausgesetzt, hätte dies natürlich den Charme, daß die „herkömmliche Wassernutzung und die ihr zugrundeliegenden sozioökonomischen Strukturen und institutionellen Arrangements in der chinesischen Hauptstadt sich wenig ändern müßten“. Mit anderen Worten: Die Probleme würden verlagert, nicht aber gelöst.
Weil das aber nicht Ziel der Klasse sein kann, so Sternfeld, müßten statt dessen Strategien entwickelt werden, das lokal verfügbare Dargebot effizienter zu nutzen. Dies verbunden mit einer „Umstellung aus ,konjunktiver‘ Nutzung von Oberflächen- und Grundwasser, die sich flexibel den schwankenden Niederschlagsbedingungen anpaßt“. Und zur Reduzierung der Wassernachfrage wäre zugleich an einem Mentalitätswandel zu arbeiten, wobei auch die bislang viel zu geringen Wasserpreise auf den Prüfstand müssen. Das aber ist unpopulär.
Die Probleme Pekings wurzeln zum einen sicherlich in den „Besonderheiten“ des sozialistischen Systems, zum anderen sind sie aber auch symptomatisch für viele Großstädte insbesondere in den niederschlagsarmen Regionen. Denn die Hauptstadt steht mit ihren Wassernöten nicht allein da: Mehr als dreihundert chinesische Städte können keine ausreichende oder hygienisch einwandfreie Wasserversorgung (mehr) gewährleisten. In chinesischen Medien wurde schon darüber spekuliert, daß Wassermangel alsbald die komplette Umsiedlung der Zweimillionenstadt Taiquan erforderlich machen könne: Nur wohin?
Es läßt sich festhalten, daß die Wasserfrage die Stadtentwicklung Pekings weit weniger bestimmt hat als es notwendig gewesen wäre. Aber Sternfeld macht klar, daß eine monokausale Erklärung der aktuellen Wasserkrise zu kurz greift. Vielfältig fließen politische, geowissenschaftliche, rechtliche, technische und nicht zuletzt wirtschaftliche Aspekte ineinander und verdeutlichen weit mehr als nur einen Einzelfall: Zu sehr ist Peking Prototyp für die chinesische Großstadt.
Das vorliegende Buch, aus einer Dissertation hervorgegangen, macht eine Vielzahl interner Quellen zugänglich und exemplarisch die Problemdimension urbaner und stadtnaher Wasserwirtschaft offenbar, mit der heute weltweit städtische Ballungszentren konfrontiert sind.
Dieser Einsicht beugte sich auch die Asian Development Bank, woraufhin sie 1993 ein Grundsatzprogramm initiierte: „Managing water resources to meet megacities needs“. Angesichts der wasserwirtschaftlich prekären Situation wären allerorten entsprechende institutionelle und organisatorische Rahmenbedingungen und Steuerungsinstrumente zu schaffen. Doch leider, so Sternfeld, sind Ansätze und Ideen hierzu bislang kaum erkennbar. Und das nicht nur in Peking.
Eva Sternfeld: „Beijing: Stadtentwicklung und Wasserwirtschaft. Sozioökonomische und ökologische Aspekte der Wasserkrise und Handlungsalternativen“. 1997, 400 S., br. 35 DM (an der Publikationsstelle der TU erhältlich).
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