: Kein Fenster zur Welt
Nachdem Fotografie als Medium selbst im Museumsbetrieb durchgesetzt ist, arbeitet sich die 4. Foto-Triennale in Esslingen am Erbe der Konzeptkunst ab ■ Von Anette Freudenberger
Der Einfluß der 60er auf die 90er Jahre ist in letzter Zeit ein häufig wiederkehrendes und offenbar dankbares Ausstellungsthema. Sinnvoll erscheint es jedoch nur dann, wenn dieser Zusammenhang nicht einfach allgemein konstatiert, sondern ein spezifischer Aspekt herausgegriffen wird. Darauf setzt auch die diesjährige internationale Foto-Triennale in Esslingen, die sich schon im Titel „Fotografie als Handlung, Photography as concept“ auf den direkten oder indirekten Einfluß der Konzeptkunst der 60er Jahre auf die aktuelle Fotografie bezieht.
Die Esslinger Foto-Triennale hat sich mittlerweile zu einem anerkannten Forum für zeitgenössische Fotografie entwickelt. 54 überwiegend junge Künstler und Künstlerinnen stellen im Hauptprogramm, etwa 31 im Rahmenprogramm aus, wobei beide Sektionen ganz unhierarchisch ineinandergreifen. Die großangelegte Schau wurde 1989 initiiert, als es noch eher galt, dem Medium breite Akzeptanz zu verschaffen. Jetzt, da sich die Fotografie in der Kunstwelt etabliert hat, kann sich die Kuratorin Renate Wiehager erlauben, das Blickfeld über enge Gattungsgrenzen hinaus zu erweitern – angefangen bei Mode, Porträt, urbaner Recherche bis hin zu Architektur und Gesellschaftskritik.
Die Erfindung des Augenblicks
Gemeinsam ist den sehr unterschiedlichen Beiträgen lediglich eine ähnliche Grundhaltung: Allen in Esslingen vertretenen Positionen geht es nicht um das Endprodukt, das formal und technisch hochwertige Foto. Die Möglichkeit von Wirklichkeitsaneignung mittels fotografischer Bilder hat sich schon immer als Illusion erwiesen, und das nicht erst zu Zeiten digitaler Bildproduktion. In dieser Hinsicht ist auch die Momentaufnahme als Fixierung eines Moments von Wirklichkeit irrelevant. Deshalb rückt die Ausstellung die gedanklichen Prozesse vor und nach dem Moment der Aufnahme ins Zentrum, wobei Geschichte und Funktion des Mediums selbst reflektiert werden. Auf das interessanteste Buch zur Ausstellung weist im übrigen David Lamelas in seiner Arbeit hin: „Morels Erfindung“ von Adolfo Bioy Casares (1940). Es handelt von einem auf eine einsame Insel verschlagenen Mann, der sich inmitten einer filmisch erzeugten Umgebung wiederfindet, und von seinem verzweifelten, aussichtslosen Versuch einer nur projizierten nichtsdestoweniger hyperrealen Frau näherzukommen.
Den weit gefaßten Themen entsprechen auch die vielfältig verwendeten Ausdrucksmittel. Martin Brandt und Andreas Wolf beispielsweise fotografieren nicht selbst, sondern untersuchen medial vermittelte Bildwelten und Inszenierungsstrategien. Die Schattenrisse vieler Kameras auf dem Glasdach der Villa Merkel beziehen sich auf ein Foto von „Paparazzi“. Diese hatten ihre Kameras nach dem Tod Prinzessin Dianas als Ausdruck ihrer Streikbereitschaft auf dem Boden abgelegt – und damit wieder ein äußerst medienwirksames Bild geschaffen. Im Beitrag von Georg Winter ist die materielle Fotografie überhaupt kein Thema mehr. Unter dem Label „Ukiyo Camera System“ entwickelt er verschiedene Kameratypen aus massivem Holz. Mit denen kann man zwar keine Fotos herstellen, wohl aber Handlung und Haltung während der Aufnahme untersuchen. Die Handhabung der Apparate kann man sich in der Villa Merkel im eigens eingerichteten „Entwicklungsbüro für Kameratechnik und neue Medien“ sowie in einem Fotofachgeschäft in Esslingen erklären lassen.
Mit Skulpturen arbeitet unter anderem Sarah Lucas, die eines ihrer Bunnies (eine an Sexpuppen erinnernde Figur aus ausgestopften Perlonstrumpfhosen) als Objekt und gleichzeitig als fotografische Abbildung ausstellt. Auf Fotos, Plakatwänden und Postern von Felix Gonzalez-Torres wiederholt sich das Motiv eines in weiter Ferne davonfliegenden Vogels vor einem grauen Himmel. Ein Stapel dieser Poster wird zu einer sich langsam verringernden Skulptur, da die BesucherInnen sich einzelne Blätter mitnehmen können.
Einige Künstler, wie die oben erwähnten Winter, Brandt und Wolf, haben sich mehr oder weniger distanziert mit dem US-amerikanischen Konzeptkünstler Joseph Kosuth auseinandergesetzt. Aber längst nicht alle, die konzeptuell arbeiten, beziehen sich direkt auf ihn, wie der Katalog suggeriert. Dort wird Joseph Kosuth quasi als alleiniger Vater der Konzeptkunst gefeiert, während die übrigen dieser Richtung zugehörigen KünstlerInnen nahezu vollständig ausgeblendet werden. Dies stellt ein Manko am Rande der ansonsten überzeugenden Ausstellung dar.
Vom Kleinbild zum Filmstill
Den Kontrollmechanismen des fotografischen Blicks geht Gillian Wearing nach. Stundenlang läßt sie Jugendliche für ein Foto Porträt sitzen, ohne je auf den Auslöser zu drücken. Statt zu fotografieren, fragt sie die genervten Jugendlichen aus, während sie die Situation gleichzeitig filmt. Auf andere Weise bezieht die Australierin Tracey Moffatt Film mit ein. Sie vermischt filmische und fotografische Inszenierung und kreist um autobiografische, soziale und ethnische Fragen, wie die infame staatlich verordnete Zwangsadoption zur „Sozialisierung“ australischer Ureinwohner. Zuletzt bilden Mode und Inszenierungen von Körperlichkeit, von weiblicher und männlicher Identität einen Schwerpunkt der Ausstellung. So sind zum Beispiel Fotos von Vanessa Beecrofts entindividualisierten Models ebenso zu sehen wie Arbeiten von Natascha Lesueur, Daniele Buetti oder Ugo Rondinone.
„Esslingen ist sehenswert“, schreibt Peter Bömmels, der vor Ort einige Seltsamkeiten auf Polaroids zutage förderte. Das gilt – selbst wenn man sich nicht unbedingt für den Charme des Provinzstädtchens erwärmen kann – auch für die Foto-Triennale.
4. Internationale Foto-Triennale Esslingen; bis 6.9., Katalog 39 DM
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