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Tief durchfurchte Rollenmuster

■ Rosen, Tränen, Dolche: Nach sieben Nummern von „Artige Zeiten“ hat Minou Zaribaf jetzt das erste eigene Heft herausgebracht. „Chicanisma“ erzählt persische Prinzessinnen-Epen neu

Was man gewöhnlich weibliche Sozialisation nennt, bahnt sich als Sujet einen Weg ins ×uvre fast jeder Comiczeichnerin. Kaum ein Heft, das ohne die Suche nach dem Platz außerhalb etablierter Weiblichkeitsmuster auskäme; kaum eine Zeichnerin, die sich nicht der geschlechtsspezifischen Gewalt, dem Terror der Adoleszenz widmete. So legte die US-Amerikanerin Debbie Drechsler mit „Konstellationen“ ein Heft vor, das in acht Geschichten um das Thema Mißbrauch kreist; Roberta Gregory, ebenfalls aus den USA, schuf mit Bitchy Bitch eine Figur, die einer Furie gleich wider die Unbill der Männerwelt streitet; die Kanadierin Julie Doucet, seit einiger Zeit in Berlin ansässig, läßt ihre Protagonistinnen zwischen Macht- und Ohnmachtsphantasien, zwischen souveräner Schlampe und kleinlautem Collegegirl changieren; Anke Feuchtenberger erforscht seit mehreren Jahren den weiblichen Leib und arbeitet sich an der Kluft ab, die sich ihr zufolge zwischen Männern und Frauen öffnet. Den hier genannten lassen sich andere Namen hinzufügen, Lillian Mousli, Mary Fleener oder auch Renée French, deren Abgesang auf die Kleinfamilie an Eindringlichkeit kaum zu überbieten ist.

Auch für Minou Zaribaf, deren erstes Heft, „Chicanisma“, vor kurzem bei Reprodukt erschienen ist, spielen Geschlechterfragen eine Rolle. Allerdings wählt die bisher als Mitherausgeberin von „Artige Zeiten“ bekannte Zeichnerin eine völlig andere Perspektive als ihre Kolleginnen. Während für Doucet, Gregory oder Drechsler die Frage nach dem „empowerment“, nach Selbststärkung und neuen Handlungsspielräumen zentral ist, versucht's die 27jährige Hamburgerin mit hergebrachten Rollenmustern.

Den Rahmen dafür liefert eine alte Erzählform: das Märchen. Zwei längere Geschichten, eine davon die Comicversion eines persischen Versepos aus dem 12. Jahrhundert, sprechen vom Ausbruch der Prinzessin aus der Konvention – und davon, wie sie sich schließlich selbst domestiziert. Daneben birgt „Chicanisma“ den ersten Teil der Story um Christina López, die aus einem nicht genannten Land – daß es sich um Mexiko handelt, läßt sich ahnen – nach Los Angeles kommt, um zu bleiben: „Denn Auflösung und Neubeginn waren für mich die einzige Alternative zu Heroin und Prozac.“

Zaribaf hält sich an klare Konturen, nichts franst aus, nichts bedarf der Schraffur oder der Schattierung. Grauzonen werden, wenn überhaupt, durch Letrasetfolien hergestellt. Durcheinander gerät bloß, was Vorder-, was Hintergrund ist. Anderswo dann zieht das Lineal Furchen in die Panels, so daß der Nivellierung eine überbetonte Fluchtpunktperspektive gegenübergestellt wird. Wie die Räume haben auch die Figuren etwas Holzschnittartiges, manchmal sind Gliedmaßen und Gesichtszüge ein wenig verrutscht. Schöne Formdoppelungen ergeben sich, wenn die Tränen der Prinzessin in den zerborstenen Fensterscheiben nachhallen oder ein Dolch sich in Sträuchern und Gräsern fortsetzt. Überhaupt bedient sich Zaribaf aus einem Fundus bedeutungsschwerer Zeichen: Rosen tauchen wieder und wieder auf, Totenköpfe und eben Dolche. Das paßt zum Märchen und auch zur leicht pathetischen Geste, mit der die Hamburgerin ihre Geschichten erzählt. Cristina Nord

Minou Zaribaf: „Chicanisma“, Reprodukt, 1998, 32 S., schwarzweiß, 12 DM

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