: Das Technosupertamagotchi
Heute eröffnet die zehnte Popkomm. Die Unterhaltungsindustrie schreitet weiter voran. Im Kongreßbereich der Messe herrscht programmatische Leere ■ Von Thomas Groß
Something is rotten in this age of hope, oder: Jubiläen haben sich schon steiler angekündigt als diese zehnte Popkomm, die heute in Köln eröffnet. Sicher, die wie jedes Jahr dutzendweise verschickten Folder und Pressemitteilungen rekapitulieren die Erfolgsstory vom familiären Branchentreff, der sich zur weltweit größten „Messe für Popmusik und Entertainment“ auswuchs. Wer will, kann eine Popkomm-Jubiläumstasse erwerben oder ein T-Shirt, auf der Jugend der Zukunft entgegenstürmt, als wollten sie alle noch einmal zur Anti-Schah-Demo. Daß der Fachbesucheranteil von zuletzt rund 15.000 um weitere Zähler nach oben verbessert werden kann, läßt sich aus den Anmeldungen noch klarer hochrechnen als der Wahlsieg Gerhard Schröders. Doch ausgerechnet zum Jahrestag, der so denkwürdig mit dem Superwahljahr einhergeht, glänzt der Event in programmatischer Leere.
Kein Heinz Rudolf Kunze in Sicht, der mit tapsigen Forderungen nach einer Quote für deutschen Rock für ein wenig Faschogrusel gut wäre, kein Dieter Gorny mehr im engeren Kreativteam, der mit seinem genial begnadeten The- Future-Sound-of-Nordrhein- Westfalen(-und-morgen-den- Rest-der-Welt)-Speech den Diskurs-Sound spendete. Die hochauflösenden Brausewörter der Innovation – „Kreativität!“ „Interaktivität!“ „Fortschritt!“ – sind strahlender Illusionslosigkeit und nüchternem Pragmatismus gewichen. Selbst die Diskussion um das Verhältnis von Pop & Politik, im letzten Jahr als Medien-Topthema mit Starpolitikern auf den Weg gebracht, ist 98 auf ein weit weniger elefantöses Panel mit der Juso- Vorsitzenden Andrea Nahles heruntergeköchelt. That's Entertainment? Wo, bitte schön, bleibt der dramatisierbare Stoff für meinungsstarke Artikel in aussagekräftigen Organen?
„Wir hatten es geahnt“, heißt es fast entschuldigend vom Kongreßteam, „im Laufe des Jahres 1998 wurde immer deutlicher, daß der Katalogtext zur zehnten Popkomm aus dem Ressort ,Wirtschaft‘ kommen würde.“ Im Klartext: Die Diskussion hat sich aus dem Bereich des Feuilletons, wo bekanntlich jeder folgenlos alles mögliche behaupten darf, ins weniger unterhaltsame, aber faktennähere Basislager der Ökonomie zurückverlegt. Die Messe braucht kein kulturelles Mäntelchen mehr, sie genügt sich in dem, was die gegenwärtigen Geschäftsführer Ralf Plaschke und Uli Großmaas bereits im letzten Jahr „Kernkompetenz“ genannt haben. Schade natürlich um den ganzen Glamour, aber man kann es mit Max Weber auch so sehen: Die Popkomm, der immer schon ein Trend zur Versachlichung innewohnte, ist endlich bei sich selbst angelangt – nicht „Titel, Thesen, Temperamente“, sondern „WiSo“, „Plusminus“, Handelsblatt.
Dort, im Weltall der Ökonomie, tun sich so seltsame Dinge wie Fusionen. Das Firmenaggregat Polygram etwa wurde 98 durch die niederländische Philips-Gruppe an den kanadischen Mischkonzern Seagram verkauft, mit dem zusammen er jetzt einen enorm leistungsstarken, möglicherweise aber auch immobilen Kampfstern bildet, der von einer Vielzahl kleinerer, aber flinkerer Entrepreneure umschwirrt wird, das Ganze auf internationalen Orbitalbahnen und mit ebensolchem Know-how. Wer nun aber glaubt, die Industriekapitäne hielten, im Gegensatz zu metaphorischen Kulturarbeitern, das Steuer ihrer Firmen fest in der Hand, wird mit Sicherheit auch von der Jubiläums-Popkomm enttäuscht werden: Sie wissen nicht wirklich, was sie tun. Ein Restsinn für den großen Auftrieb wird aus der alljährlich wiederkehrenden Illusion genährt, die latente Naturwüchsigkeit der unschwer als „Globalisierung“ erkennbaren wirtschaftlichen Entwicklung ließe sich palavernd in vernünftige, kontrollierbare Bahnen lenken.
Immerhin: Einige Tendenzen sind absehbar im allgemeinen Zusammenwuchern ehemals getrennter Technologie- und Entertainmentsegmente. „Intensiv diskutiert“ wird in diesem Jahr das Phänomen, daß immer mehr Filme „wesentlich über die Verwendung beziehungsweise Thematisierung von Popmusik und -kultur funktionieren“. Ein Jahr nach dem Mega- Erfolg des „Titanic“-Soundtracks ist auch Deutschland mit einem Wettbewerbsbeitrag am Start. In Tom Tykwers „Lola rennt“ rennt Lola (alias Franca Potente) zu popmusikalischer Untermalung durch ein neo-retro-unübersichtliches Berlin, das von Gangstern beherrscht wird. Man kann diese Rhythmusspur in sein eigenes Leben integrieren, ebenso wie man zu Hörbüchern aus dem neu hinzugekommenen Wortkomm-Bereich (siehe Kolumne rechts) seine Hemden fürs Nachtleben bügeln kann. Auch der Traum vom universellen Multimedia- Endgerät, das so grobschlächtige Dinge wie Scheiben, Hüllen und Heftchen überflüssig macht, weil alles nur noch aus dem Netz „heruntergeladen“ wird, scheint konkreter zu werden. Bislang scheiterte die Zukunft an der mangelnden Datenkompression für Musik, jetzt soll eine Reihe von Präsentationen dem Popkomm-Publikum vor Augen führen, „daß es zur Umsetzung und Vermarktung von Entertainmentinhalten im Netz immer weniger (technische) Restriktionen gibt“. Schon zeichnet es sich ab: das technoinduzierte Supertamagotchi, mit dem man gleichzeitig texten, telefonieren, faxen, mixen, wichsen, reden, e-mailen, Computer spielen, Musik hören, Fernreisen planen und den neuesten Börsenstand abrufen kann. Das schafft nicht nur Freizeitspaß, sondern möglicherweise auch Arbeitsplätze. Und gerade die Grünen mit ihrem Benzinpreistrauma müßten im Wahljahr eigentlich wissen, daß mit digitaler Ware wertvolle Ressourcen...
Aber ... sind wir hier nun nicht doch wieder im Reich der Visionen, Beschwörungen und Zauberformeln gelandet – und mithin bei Gerhard Schröder? Schon Clinton und Blair haben ihren Wahlkampf ja mit dem populären Lied von der Dienstleistungsgesellschaft geführt, deren Rhythmus im Labor der Unterhaltungsindustrie generiert wird. Und Popkomm-Gründervater Dieter Gorny, der die letzten Jahre mit dem Aufbau eines lebenstechnisch unentbehrlich gewordenen Musiksenders („Viva liebt dich“) zugebracht hat, ist bei näherem Zusehen auch nicht ausgeschieden aus der Popkommunikative, er hat sie bloß in den – messetechnisch gesehen – far-outeren Bereich der Staatsräson erhoben. Erst unlängst sind er, Thalia-Theatermann Jürgen Flimm und andere Offizielle mit einem „Strategiepapier“ an den Kanzlerkandidaten herangetreten, das einen möglichen „Aufbruch der Künste und Kultur in Deutschland“ umreißt. Es soll Antwort auf vier Kardinalfragen geben: Orientierungssuche der Jugend, Deutsche Einheit, Elektronische Medienentwicklung, Integration der Ausländer.
Sie lachen? Das sei die Quadratur der „Berliner Republik“? Schon kündet das Branchenorakel Kress Report, daß bei Viva (bislang ein eher sonnenköniglicher Herrschaftsbereich) erstmals ein kaufmännischer Geschäftsführer engagiert wurde. Wird Gorny in letzter Minute doch noch ins Schrödersche Schattenkabinett berufen? Als Minister for Mittelstand, Future and Tomorrow? Hat sein Gegenspieler, der Poptheoretiker Guido Westerwelle, noch einen Trumpf in petto? Wo bleiben die Ökos? Stay tuned!
Von heute bis Dienstag wieder die tägliche Popkomm-Kolumne
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