piwik no script img

Radfahrer sind keine Lemminge

In puncto Fahrradunfälle liegt Hamburg über dem Bundesdurchschnitt. Trotzdem zwingt die Innenbehörde RadlerInnen auch in Zukunft auf gefährliche Radwege  ■ Von Christine Holch

Die Fahrradunfälle sind im vergangenen Jahr bundesweit um zehn Prozent gestiegen, meldet das Bundesamt für Statistik. In Hamburg stiegen sie sogar um 11,8 Prozent; hier verunglückten 2105 RadlerInnen, sieben davon starben. Grund der Zunahme laut Bundesamt: Das im Vergleich zu 1996 schönere Wetter lockte mehr Menschen aufs Rad.

Viele Unfälle passieren laut Allgemeinem Deutschen Fahrrad-Club (ADFC), weil RadlerInnen von rechtsabbiegenden AutofahrerInnen nicht rechtzeitig gesehen werden – weil sie zum Beispiel auf dem Radweg fahren. „Man müßte die Radfahrer spätestens 20 Meter vor der Kreuzung im Sichtfeld der Autofahrer fahren lassen“, sagt Ulf Dietze, Vorsitzender des Hamburger ADFC. In Hamburg aber „verschwenken“ viele Radwege kurz vor der Kreuzung oder sind wegen Büschen für Autofahrer nicht einsehbar. Oft sei es deshalb gefährlicher, auf einem Radweg zu fahren als auf der Straße, wo man ständig im Blickfeld der AutofahrerInnen sei.

Viel versprachen sich die RadlobbyistInnen also von der neuen Straßenverkehrsordnung, die 1997 beschlossen wurde und am 1. Oktober dieses Jahres umgesetzt sein muß. Danach sollen unzumutbare, also gefährliche Radwege nicht mehr benutzungspflichtig sein. Ausnahmen sind nur im Einzelfall zugelassen. Die zuständige Hamburger Innenbehörde macht von diesem Ausnahmerecht aber regen Gebrauch. Viele Radwege, die der ADFC für gefährlich hält, werden derzeit mit einem Schild (weißer Radler auf blauem Grund) als weiterhin benutzungspflichtig gekennzeichnet, zum Beispiel Osterstraße, Schanzenstraße, Grindelallee, Berner Chaussee. „Ein Skandal“, sagt Ulf Dietze.

Zwar stimmen Behörde und ADFC bei vielen Radwegen darin überein, daß sie nicht den Anforderungen entsprechen – also schmaler als 1,50 Meter sind, nicht hindernisfrei, an Kreuzungen verschwenkt –, doch die Behörde führt „Ko-Argumente“ ins Feld, die auch diese Radwege benutzungspflichtig machten: Die Straße werde täglich von mehr als 15.000 Fahrzeugen befahren, der Radweg sei „Schulanmarschweg“, oder RadlerInnen auf der Straße würden den Busverkehr behindern, der laut Senatsbeschluß ja gefördert werden solle ...

„Diese Ausnahmen sind durch die Verordnung nicht gedeckt“, schimpft Markus Franke von der Eimsbütteler ADFC-Bezirksgruppe. In Eimsbüttel verbessere sich deswegen fast gar nichts für RadlerInnen, in Osterstraße und Heußweg zum Beispiel müssen sie weiterhin die verschwenkten und von FußgängerInnen bevölkerten Radwege benutzen. Daß in Tempo-30-Straßen in der Regel den RadlerInnen die Wahl zwischen Radweg und Straße gelassen wird, versöhnt den ADFCler keineswegs mit der in Hamburg „sehr koservativen Auslegung der neuen Verordnung“.

Auch der Schanzenstraßen-Radweg, gehaßt wegen der vielen Hindernisse durch Geschäftsauslagen und wegen der Unübersichtlichkeit an der Ecke Susannenstraße, muß weiter benutzt werden. Obwohl weniger als 15.000 Fahrzeuge pro Tag hindurchfahren. Aber es seien viele LKWs darunter, sagt Frank Pohlmeyer von der Innenbehörde besorgt, hinzu komme verbotswidriges Parken in zweiter Reihe – zu gefährlich für Schulkinder, die hier längsfahren. Obwohl auch die Behörde zugibt, daß die Ecke bei der Kneipe „Frank & Frei“ gefährlich ist: Abbiegende AutofahrerInnen sehen RadlerInnen auf dem Radweg wegen Bäumen und Straßencafé sehr spät.

Ulf Dietze vom ADFC, eigentlich ein besonnener Mensch, der als Vater ohnehin das Wohl auch von radelnden Kindern im Kopf hat, platzt angesichts der Hamburger Politik denn doch der Kragen: „Die glauben wohl in der Behörde, wir sind alles Lemminge, die sich mit Begeisterung vor die Autos werfen“, schimpft er, dabei sei es auf der Straße oft objektiv sicherer als auf dem Radweg. Wahrscheinlich, so sagt er bitter, gehe es bei den Behördenentscheidungen gar nicht um die Sicherheit der RadlerInnen, sondern nur darum, daß die Autos weiterhin schnell fahren können.

Der ADFC erwägt, im Oktober beim Verwaltungsgericht Widerspruch gegen die Behördenpraxis einzulegen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen