: Der Hohepriester der fremdartigen Augenblicke
■ Anläßlich der Werkschau im Alabama-Kino: Ein Porträt des Schauspielers Christopher Walken
Der König stirbt. Er stirbt auf dem Rücksitz eines Taxis. Vor allem aber: Er stirbt in einem nahezu magisch wirkenden Augenblick. Die linke Hand hat der König auf seine Schußwunde gepreßt. In der rechten Hand hält er die Pistole. In dem Gesicht des Drogenkönigs Frank White ist kaum eine Regung abzulesen, während er langsam verblutet. Er sieht sich noch einmal um, sieht den New Yorker Verkehrsstau, in dem das Taxi steckengeblieben ist, sieht die Polizisten, die ihn längst umzingelt haben. Er sitzt einfach da und sieht. Was Frank White in diesem Augenblick denkt, das wird für immer sein Geheimnis bleiben. Wir Kinobesucher werden es nie erfahren. Fast so etwas wie Unbeteiligtsein, wie Befremdetsein liegt auf Frank Whites Zügen. Man könnte aber auch Trauer herauslesen oder auch leisen Spott. Dann fällt der Arm mit der Pistole nach unten. Der König ist tot.
So endet Abel Feraras Film King of New York, und es wäre gar nichts Besonderes an dieser Schlußszene. Wenn nicht Christopher Walken den Unterweltkönig Frank White spielen würde. Die ganze Magie der schlichten Szene liegt allein in seinem Spiel. In seinem Spiel, das eigentlich ein Nichtspiel ist, denn im Grunde tut Christopher Walken nichts anderes, als dazusitzen und sich umzuschauen. Und dabei mit seiner Präsenz fast die Leinwand zu durchstoßen.
In kaum einem Porträt des US-amerikanischen Schauspielers fehlt der Hinweis darauf, Christopher Walken sei auf böse, auf abgründige, auf widersprüchliche Figuren abonniert. Und es stimmt ja auch. Seit Walken mit seiner Darstellung des durchdrehenden Vietnamveterans Nick in Michael Ciminos Die durch die Hölle gehen 1978 den Oscar als bester Nebendarsteller gewann, kann man ihn sich in unkomplizierten Rollen nicht mehr vorstellen. Aber trifft die Aussage wirklich die Besonderheit dieses Schauspielers? Beschreibt sie überhaupt irgend etwas von seiner Eigenheit? Oder sind es nicht gerade diese fremdartigen Momente, die man als erstes erwähnen sollte, diese Augenblicke, in denen die Figuren aus dem Film herausfallen, in denen sie die Kommunikation mit dem Zuschauer verweigern, ihm nicht verraten, was in ihnen vorgeht – so wie Frank White es beim Sterben hält?
Doch, es sind die Augenblicke. Amerikanische Filmjournalisten haben einen Begriff dafür geprägt, sie sprechen von einem „typischen Walken-moment“. Ein Walken-moment ist ein Augenblick, in dem man nicht weiß, ob die Figur sich über einen lustig macht oder es ernst meint mit dem, was sie sagt, ob sie Hintergedanken hat oder eine reine, ungetrübte Seele. In jedem seiner Filme zelebriert Walken eine oder mehrere solcher Szenen – sei es in Die durch die Hölle gehen, in Heaven's Gate, in King of New York, in Dead Zone –, und wenn seine Rolle nur aus einem Gastauftritt besteht wie etwa in True Romance, dann ist dieser Auftritt nichts anderes als eine solche Szene. Man sieht dann und sieht und weiß nicht. Und es bleibt unklar, ob man lachen, sich gruseln oder sich freuen soll.
Natürlich fragt man sich: Woher kommen diese fremdartigen Szenen, deren Hohepriester Christopher Walken ist? Woher kommt diese Lust, den Zuschauer zu befremden und sich ihm gleichzeitig zu entziehen? Allen, die hinter der Darstellung von merkwürdigem Verhalten ein abweichendes Privatleben vermuten, sei gesagt: Das gibt in diesem Fall nichts her. Christopher Walken ist Profischauspieler, und zwar schon lange, nie in seinem Leben ist er etwas anderes gewesen als Profischauspieler. Mit 16 Jahren bereits trat er in einem Musical am Broadway auf. Seit nahezu 30 Jahren ist er verheiratet, mit einer Schauspielerin. Das Paar lernte sich kennen, als es mit der West Side Story auf Theatergastspielreise tourte. Es mag Auffälligkeiten an der Person Christopher Walken geben, so seine Arbeitswut, seine fetischhafte Einstellung dem eigenen, auch noch in einem Alter von mittlerweile 52 Jahren dichten Haar gegenüber oder seine Abscheu davor, Dinge zu essen, die andere Menschen zubereitet haben. Na und? Harvey Keitel hat seine Exzesse und seinen Katholizismus. Robert de Niro hat seine kindliche Verwandlungslust. Was aber hat Christopher Walken? Es drängt sich nichts auf, was diese Abgründe in seinen Augen erklären könnte, Abgründe, die sich schnell in Luft auflösen können; oder seine manchmal linkisch zuckenden Lippen, die dann plötzlich so gewinnend lächeln können.
In einem Interview hat Christopher Walken sein Privatleben betreffend gesagt: „Ich bin nicht beschädigt. Ich bin merkwürdig (strange). Und ich bin glücklich, merkwürdig zu sein.“ Das glauben wir ihm gerne – und vergessen es wieder, niemand braucht sich dafür zu entschuldigen, merkwürdig zu sein. Walken hat aber noch etwas anderes gesagt: „I'm a foreign actor.“ Und dann hat er gelacht.
„Ich bin ein ausländischer Schauspieler.“ Dieses dunkle Wort macht schon Sinn, wenn man Christopher Walken mit anderen amerikanischen Schauspielern vergleicht. Walken wirkt unamerikanisch, er trägt sein finsteres Herz nicht, wie die meisten US-Schauspieler es tun, auf den Lippen und der Mimik. Er behält es für sich. Und läßt es gerade dadurch sprechen.
Ausländisch, nicht dazugehörig, fremd. Die dunkle – soll man sagen: merkwürdige? – Aussage vermag etwas aufzuschließen. Christopher Walkens Spiel ist eins der Desintegration. Vielleicht macht gerade dies ihn so einzigartig und faszinierend. Keinem anderen Schauspieler gelingt es, so sehr die Abstände der Menschen untereinander wie auch den Abstand zu sich selbst und sogar – wie in King of New York – den Abstand zum eigenen Tod darzustellen wie Christopher Walken. (Was nicht heißt, daß seine Figuren nicht teilhaben wollten am normalen Leben, in Heaven's Gate etwa führt der von Walken gespielte Killer Nathan D. Champion einmal beinahe rührend der von ihm geliebten Frau seine Tapeten vor, nur wird er eben bald darauf erschossen.) Christopher Walkens Figuren sind nicht identisch mit sich, sie sind überall „ausländisch“, Besucher in ihrem Leben.
An diese These ließe sich nun natürlich vieles anschließen. Es ließe sich auch ins Erzählen kommen und Szene auf Szene häufen. Lassen wir es dabei. Das Befremdende muß man als Fremdes stehenlassen können. Eine Merkwürdigkeit sei allerdings abschließend noch angesprochen: Kaum ein Schauspieler mit solch herausragenden Fähigkeiten tritt in so vielen mittelmäßigen bis schlechten Filmen auf wie Christopher Walken. Manchmal scheint es, als habe er auch der eigenen Aura gegenüber eine so befremdete Einstellung, daß er sie bequem ausbeuten kann. Auch darin ein König. Dirk Knipphals
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen