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Emanzipation in Werders Ostkurve

Seit gestern spielen sie wieder, die Mehmet Scholls und Lars Rickens der Republik. Doch auf den Zuschauertribünen der Fußballbundesligisten pfeifen und buhen längst nicht mehr nur Männer. Jeder fünfte Stadiongast ist weiblich. Selbst unter die Stehplatzfans des Bremer Weserstadions mischen sich zunehmend Mädchen und junge Frauen mit Dauerkarte. Sie machen den Kumpels den Alleinanspruch auf das Wissen vom Fußball streitig und erfreuen sich an Deutschlands erstem Mädchenfanprojekt. Das jedoch ist berets wieder gefährdet – in drei Monaten läuft die Finanzierung aus  ■ Von Susanne Burg

Die Kumpels vom Fanclub „Die Eumels“ sind sich nicht ganz einig über das prozentuale Verhältnis: Einer plädiert für achtzig zu zwanzig, ein anderer für siebzig zu dreißig. Es ist kein leichter mathematischer Fall, den es in der Halbzeit im Bremer Weserstadion zu lösen gilt. Hier wird nicht über Punktestände diskutiert, sondern über den prozentualen Anteil von Männern und Frauen und der Ahnung vom Fußball. „Auf jeden Fall geht man zum Fußball nur als Junge“, versucht ein fünfzehnjähriger Jugendlicher die Diskussion von der höheren Mathematik wegzulenken. „Das gehört sich so. Wegen dem Trinken und so. Nach dem Stadion kommen die Frauen.“

Aber schon längst sind weibliche Fans auch im Stadion keine unsichtbare Größe mehr. Jeder fünfte Fan ist eine Frau, schätzt die Koordinationsstelle Fanprojekte bei der Deutschen Sportjugend in Frankfurt. Daß Frauen im Stadion auftauchen, heißt allerdings nicht, daß sie auch in den Fanprojekten der Bundesligavereine zu finden sind. Diese Feststellung machten auch Anja Janetzky, Regina Kroll und Natascha Milschewsky und riefen daher 1996 in Bremen das erste Mädchenfanprojekt Deutschlands ins Leben – ein zweijähriges Modellprojekt, das von der Stiftung Deutsche Jugendmarke finanziert wird.

Strategisch günstig liegt das Mädchenprojekt in der Ostkurve des Bremer Weserstadions, zusammen mit dem Fanprojekt von Werder. Vor und nach jedem Spiel kommen die Fans hier zusammen und übertönen die Musik mit Bemerkungen zum Spiel ihrer Fußballelf. In den Fanräumen zeigen sich derweil die ersten Früchte der Arbeit des Mädchenprojekts: Weibliche Jugendliche stehen an der Theke oder sitzen auf den Sofas und plaudern. Früher haben die Frauen diesen Ort geballten männlichen Fantums gemieden. Jetzt prangt in dem Raum sogar ein Wandbild mit Werderspielern, das weibliche Fans zusammen mit einer Künstlerin erstellt haben.

Über zweihundert Frauen in den verschiedensten Altersgruppen bewegen sich mittlerweile im Dunstkreis der Mitarbeiterinnen des Modellprojekts. Bei Spielen werden die drei Studentinnen zu Anlaufpunkt und Kontaktstelle. Während Anja Janetzky noch mit einer Jugendlichen über das nächste Frauenfanturnier redet, wird sie schon von einigen anderen Frauen umringt, die zu einer Geburtstagsparty einladen. Die Projektleiterinnen sind zu bekannten Gesichtern im Stadion geworden. Zu Institutionen.

Sie stehen für konkrete Anliegen zur Verfügung. Oder machen weibliche Fans miteinander bekannt – im Stadion oder auf Auswärtsfahrten und beim Training, so daß diese gemeinsam ins Stadion gehen können oder über Fußball und natürlich die Dinge rund um den Fußball reden können: „Man tauscht Erfahrungen aus, welcher Typ einen dumm angemacht hat. Dann merkt man irgendwann, das ist immer der gleiche, und dann weiß man, wie man sich verhalten muß“, sagt die Schülerin Annette Burka. „Wenn ich ins Stadion gehe und bin so ein kleines Weichei, dann bringt's das nicht. Ich muß mich schon mit den Leuten auseinandersetzen. Wenn so ein total Betrunkener neben mir steht, da kann ich mir überlegen, ob ich mich klammheimlich verziehe oder ob ich sage: ,Stopp, jetzt ist es genug.'“

Die Pädagogen im Fanprojekt von Werder sind mittlerweile froh, daß die drei Frauen Fanarbeit mit Mädchen und jungen Frauen machen. Auch wenn sich die Zusammenarbeit nicht immer ganz reibungslos gestaltet. „Die männlichen Pädagogen sind häufig selber Traditionalisten“, sagt Natascha Milschewsky, die kurz vor dem Abschluß ihres Sozialpädagogikstudiums steht. Die männlichen Kollegen hätten früher selbst Fußball gespielt, seien selbst Werderfans gewesen und hätten nach dem Studium das Hobby eben zum Beruf gemacht. Denen fehle daher manchmal das Einfühlungsvermögen in die Szene der Mädchen, klagen die Pädagoginnen.

Ob Pädagoge, Fan oder Spieler – im männlichen Fußballrefugium sind Frauen jedenfalls nicht immer gerne gesehen. „Logisch“, meint Annette Burka. „Die Männer haben Angst. Die einzige Domäne, die sie noch haben, ist die, daß sie im Stehen pinkeln können. Den Rest haben wir jetzt halt irgendwie erobert. Nun geht die Angst um: Die Frauen kommen ins Stadion!“

Bei den Aktionen des Mädchenfanprojektes soll das Selbstverständnis der Frau im Stadion gestärkt werden. Dazu gehört auch, mit den gängigen Klischees umgehen zu lernen. Denn, so heißt es nicht selten, Frauen kommen nur ihren Männern zuliebe ins Stadion. Und wenn die Damen dann hübsch geschminkt in der Fankurve stehen, hätten sie anderes zu tun, als dem ledernen Ball hinterherzusehen: „Es ist einfach sofort das Bild da, daß wir sowieso nur im Stadion sind, weil wir den Männern auf den Arsch gucken, und der Rest interessiert uns gar nicht“, greift Bianca Segelken dieses gängige Bild auf. Die Neunzehnjährige, die seit vier Jahren Dauerkartenbesitzern ist, erklärt, daß es ihr im Stadion vor allem um den Fußball gehe, um das gemeinsame Fiebern für eine Mannschaft, das Gefühl der Zusammengehörigkeit unter den Fans während eines Spiels: „Obwohl einem die meisten Fans fremd sind, kennst du sie alle, weil alle das gleiche Ziel haben, nämlich daß was Wichtiges erreicht wird. Und das verbindet.“ Mit der Sorte Fans, die Stofftiere auf ihre Stars werfen und Boygroup und Fußballelf nicht auseinanderhalten können, will sie nichts zu tun haben. Die fünfzehnjährige Annette Burka nickt bestätigend: „Man muß nicht jeden Fetzen sammeln“, meint sie. „Man kann Werderfan sein, ohne daß man jeden Zeitungsschnipsel ausschneidet und ins Zimmer klebt. Ich denke, es ist viel wichtiger, von innen heraus Werderfan zu sein, als sich das ganze Zimmer mit Postern vollzutapezieren.“

Fußballer wie Mehmet Scholl und Christian Brand, die von Mädchen wie Popstars angehimmelt werden – das ist das Ergebnis eines Starkults, der Fußballer seit den achtziger Jahren immer mehr zu Helden mit personality touch gemacht hat. „Es gibt viele Gruppen weiblicher Fußballfans“, betont die Projektfrau Regina Kroll, selbst von Kindesbeinen an Fußballfan. Die Frauen paßten sich aber häufig den Argumentationen männlicher Fans an: „Für die Männer gibt es bestimmte Kategorien weiblicher Fans. Die Frauen versuchen dann immer, sich in die Gruppe einzuordnen, in der ihnen am wenigsten passieren kann. Entweder muß eine Frau hart sein, cool sein, resolut sein. Oder es gibt ,die Freundin', die nur mit einem männlichen Begleiter ins Stadion geht, oder die Mädchen, die Fußballer anhimmeln und im Stadion kreischen.“

Das mittlerweile auf zwei Betreuerinnen geschrumpfte Projektteam versucht, diese Abgrenzungen zu überwinden. „Erreicht haben wir auf jeden Fall, daß sich die weiblichen Fans untereinander nähergekommen sind und sich dadurch im Stadion vielleicht auch besser behaupten können, weil sie als Gruppe auftreten“, sagt die Kulturwissenschaftlerin Anja Janetzky. Zugleich schaffen die drei Frauen mit ihrer Arbeit unter Fans und Pädagogen ein Bewußtsein für die lange unbeachtete Problematik des Sexismus in den Fußballstadien. „In den achtziger und neunziger Jahren hat sich alles auf die Gewaltproblematik reduziert, also auf Hooliganismus“, sagt Regina Kroll. „Und da hat man die Mädchen einfach nicht wahrgenommen.“ Eine Erklärung sei, daß es bis in die neunziger Jahre keine Pädagoginnen in den Fanprojekten gab.

In drei Monaten läuft die Finanzierung des weiblichen Fanprojektes aus. Die Mitarbeiterinnen fordern, daß die Mädchenarbeit danach nicht nur weitergeht, sondern sogar noch ausgebaut wird. Getragen wird das Projekt bisher vom SV Werder Bremen, vom Land Bremen und dem Deutschen Fußballbund.

Bis das Mädchenfanprojekt ausgewertet ist, werden die einschlägigen Fragen natürlich im Stadion geklärt. „Wir sind ja nun alles Kumpels hier“, meint ein Fan in einer Herrenrunde. „Wir haben nichts gegen Frauen. Frauen haben ihre Berechtigung. Aber nicht im Stadion. Das hier ist unser Reich, freitags oder samstags, in Ruhe unser Bier trinken, schnacken und fröhlich sein.“ Und hält eine prozentuale Geschlechterverteilung der Ahnung vom Fußball von achtzig zu zwanzig für realistisch.

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