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■ Für den neuen Nahrungsmittelzusatz Omega-3-Fettsäure scheut die Werbung kein übertriebenes VersprechenHeute schon Omega-3 probiert?

„Investieren Sie mal was in Ihre Gesundheit“, ruft es einem neuerdings beim Brötchenkauf entgegen. „Cholorienbewußt nach Herzenslust“, wird da gedichtet, und der Bäcker weiß: „Das neue Omega-3-Brot ist toll gegen Herzinfarkt.“ Denn Omega-3, so erfährt man im ausliegenden Werbeblatt, ist das „gute Fett“, kein Cholesterin. Omega-3, das sind mehrfach ungesättigte Fettsäuren, die der Körper nicht selber bilden kann, auf die er aber angewiesen ist. Sie kommen vor allem in Makrele, Lachs und Hering vor. Aber anders als von den „normalen“ Fetten – egal, ob pflanzlich oder tierisch – äßen wir davon nicht zuviel, im Gegenteil. Deutschland sei ein Omega-3-Fettsäuren- Mangel-Land.

Die Bäckerwerbung warnt: „Omega-3- Fettsäuren sind zu knapp in der Ernährung.“ Schwangere Frauen und werdende Väter sollten sich merken: „Die Fettsäuren spielen eine wesentliche Rolle in der Entwicklung der Sehkraft und der Gehirnfunktion von Babys im Mutterleib.“ Intelligentere und scharfsichtigere Babys durch Omega-3? Herzattacken ohne die neuen Fettsäuren? Fast könnte man es glauben, denn die Medizin weiß Positives über die Fettsäuren zu berichten. Der Arzt Peter Singer aus Heppenheim berichtet, daß sich das Herzinfarktrisiko durch eine intensive Behandlung mit Fettsäurepräparaten senken läßt. Er bestätigt, daß die Infarktwahrscheinlichkeit um die Hälfte sinkt, wenn die Probanden jeden Tag bis zu drei Gramm der Wirksubstanz zu sich nehmen. Und auch Patienten mit Bluthochdruck würden auf die Behandlung mit den mehrfach ungesättigten Eicosapentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DHA) positiv reagieren. Singer führt die Wirkung der Fettsäuren dabei auf ihren Einfluß auf die Zellmembran zurück. „Die Verformbarkeit der roten Blutkörperchen nimmt zu“, erklärt er und folgert, daß dadurch auch kleine Blutgefäße besser versorgt würden. Neben der verbesserten Fließfähigkeit des Blutes würden zudem die Blutbahnen erweitert.

Der Haken: Singers Untersuchungen beziehen sich auf den Einsatz von Omega- 3-Fettsäuren in hohen Dosen und zur gezielten Behandlung von Erkrankten. Um drei Gramm der Fettsäuren mit der Nahrung zu sich zu nehmen, müßte man täglich knapp vier Kilo der jetzt bundesweit beworbenen Omega-3-Brote essen oder dreihundert Gramm Lachs oder Makrele am Tag verspeisen. Bei so hohen Dosen, da ist sich Singer sicher, sind die Fettsäuren ein wirkungsvolles Medikament. Aber wer mag so viel Fisch?

Über die Wirkung geringer, langfristig aufgenommener Omega-3-Dosen weiß man dagegen kaum etwas. Laut Johann F. Desaga, Leiter einer Klinik für Stoffwechselkrankheiten, läßt sich „ein positiver Effekt schon heute definitiv ausschließen, wenn man seine Ernährung nur um angereichertes Brot und ähnliches ergänzt“.

Das gelte für den Blutdruck und für die versprochene Wirkung bei Hautkrankheiten wie Schuppenflechte oder die Bekämpfung von Tumoren. Auch gegen Herzinfarkte sei mit dem neuen Brot „nichts zu holen“. Schlechte Nachrichten für die Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln also. Unternehmen wie Hoffmann La Roche aus der Schweiz oder die Berliner Firma Sertümer Arzneimittel erhoffen sich einen großen Markt, vorausgesetzt, Omega-3-Präparate und -Nahrungszusätze werden so populär wie Vitamin-C-Beigaben oder die allgegenwärtige Extraportion Mineralien und Spurenelemente. Um den neuen Omega-3-Markt zu erschließen, sind deren Werbeagenturen nicht zimperlich. Als Beweis für die Zuträglichkeit ihrer neuen Produkte – seien es Kapseln, Brote oder Eier – führen sie die Erfolge beim Einsatz hoher Omega-3-Dosen oder nachweisbare Schäden bei einer Unterversorgung mit diesen Fettsäuren ins Feld. Für Verbraucher sieht es so aus, als würden Babys mit Omega-3- Broten intelligenter, ließe sich die Krebsgefahr deutlich senken und stürben Männer nicht mehr an Herzinfarkten.

Doch selbst innerhalb der Nahrungsmittelbranche ist das Omega-3 umstritten. „Für unsere Produkte kommt ein Zusatz von ungesättigten Fettsäuren aus Fischölen nicht in Frage“, sagt Klaus Ragotzky, wissenschaftlicher Leiter bei der Union Deutscher Lebensmittelwerke (Unilever) in Hamburg. Bei einer ausgewogenen Ernährung sieht man bei dem Hersteller von Rama, Unox und Du darfst! „keinen Bedarf“ für Omega-3-Zugaben. Und auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) in Frankfurt am Main weist darauf hin, daß sich mit einem einzelnen Extranährstoff die Gesundheit kaum verbessern läßt. Ärzte und DGE empfehlen statt dessen eine ausgewogene Diät mit viel Obst, wenig Fett und regelmäßigen Fischmahlzeiten. Statt Kapseln bietet die Gesellschaft darum ein Rezeptbuch mit leckeren Fischgerichten an. Marcus Franken

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