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Postpubertäre Würstchenwelt

■ Benjamin von Stuckrad-Barre verbrät in seinem Debütroman „Soloalbum“ seine Erfahrungen mit dem Musikbiz – lauwarm

Manche Hamburger haben gute Gründe nervös zu sein, wenn dieses Buch erscheint. Vor allem die zahllosen Mitarbeiter der Musikbranche. Denn der Journalist Benjamin von Stuckrad-Barre lädt kübelweise Schmutz auf die hiesige Gemengelage von Journalisten, Kreativen, Plattenfirmenmitarbeiter. Da tritt der Geschäftsführer einer Plattenfirma auf, der sich nach dem Koksen für Bill Gates hält, oder ein journalistischer Windbeutel, der alle mit seinen Textproben und Kochkünsten quält. „Ein armes Würstchen, dem man fünf Mark in die Hand drücken will, um weiterzuziehen.“ Da wird eine Mitarbeiterin des jungdynamischen Plattenmultis vorgeführt, die sich mit Schokoriegeln vollstopft und keine Ahnung hat.

Einige kriegen ihr Fett weg, und manche haben sich im Vorfeld des Erscheinens schon bitter beschwert. Aber wir verraten die Namen nicht. Denn das tut auch Soloalbum, der Debütroman des 23jährigen Journalisten (taz, Woche, Rolling Stone) nicht. Das gehört zu den Spielregeln seiner Petzprosa. Beleidigt sind die manchmal leicht zu dekodierenden Opfer natürlich trotzdem. Oder freuen sie sich, überhaupt wahrgenommen zu werden?

Ansonsten entwirft das schmale Büchlein eine postpubertäre Welt, die man so zusammenfassen kann: alles Scheiße außer Oasis. Die Brit-Popper werden samt Japan-Pressungen und Textzeilen ebenso kultisch verehrt wie der Rest der Welt in Grund und Boden gerammt wird. Die Titel ihrer Liedchen geben sogar die Überschriften der Romankapitel ab – wobei „Wonderwall“, ihr größter Hit, natürlich nicht auftaucht. Das wäre ja auch zu banal. Dafür müssen richtige Oasis-Fans einzelne Stücke ohne Refrains und durchs Telefon erkennen. Mit diesem Ratespielchen vertreiben sich der Ich-Erzähler, der offenbar ziemlich viel mit dem Autor Stuckrad-Barre gemein hat, und ein Gleichgesinnter die Zeit.

Man las so etwas zuletzt in Christian Krachts Debütroman Faserland. Auch er ein Journalist, Pop-Fan und Ästhet, der jedem allein für seinen schlechten Geschmack eine überbrät. Doch Stuckrad-Barre muß man immerhin zugute halten, daß er auch sich selbst nicht verschont. Die ganze Zeit nervt es den Ich-Erzähler, daß er von seiner Freundin Katharina nicht loskommt. Er probiert alles: Onanieren, One-Night-Stands, neu Verlieben, etwas Sport, viel Arbeiten, noch mehr Trinken. Doch immer wieder kommt ihm seine Sucht nach Katharina in die Quere, die sein Werben nicht erhören will.

Im Gegensatz zum gedrechselten Stil des Journalisten Stuckrad-Barre ist die Jungswelt von Soloalbum aber in ganz einfache Aussagesätze verpackt – wie man es in den USA so macht, nur ohne die dortige Selbstironie. Manchmal ist dieser Stil klar und überzeugend – mit Sätzen wie: „Ich kaufe nicht mehr viel ein“ rauscht Soloalbum aber achtlos in die Untiefen ermüdender Tagebuchprosa.

Bis der juvenile Held im letzten Drittel die Nase voll hat und nach Köln umzieht und ihm dann noch ein paar durchaus wichtige Sachen auffallen: etwa daß man bei H&M nur Unterhosen kaufen kann. Doch trotzdem wird Soloalbum mit dem Umzug nach Köln langweilig, da es dort keinen Tratsch mehr aus der Medienbranche gibt und sich statt dessen die Motive wiederholen, bis es einem genauso schlecht wie dem Protagonisten geht. Außerdem sind Pulp eh besser als Oasis. Das müßten Jungmänner in Anzügen eigentlich wissen.

Volker Marquardt

Benjamin von Stuckrad-Barre: „Soloalbum“, Roman, Kiepenheuer & Witsch, Köln 1998, 245 Seiten, 16,90 Mark

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