: Rußlands Krise bedroht die gesamte Finanzwelt
■ Sollte der Rubel abgewertet werden, dann wird er nicht nur den angeschlagenen Yen mit sich reißen. Die Abwertungsrunde könnte auch zum befürchteten Fall des chinesischen Yuan führen
Die Nervosität an den Weltfinanzmärkten hat am Freitag einen neuen Höhepunkt erreicht. In Moskau steht eine drastische Abwertung des Rubels bevor, der andere Währungen in den aufstrebenden Märkten ebenfalls in die Tiefe ziehen könnte. Derweil eskaliert in Tokio die seit acht Jahren schwelende Finanzkrise, weil die Bankensanierungspläne im Parlament von der Opposition geblockt werden. Für die global vernetzte Finanzwelt sind diese beiden Krisenherde zur größten Bedrohung geworden. „Es ist beängstigend zu sehen, wie sich die Asienkrise immer weiter ausdehnt. Das globale Finanzsystem zeigt, daß die Probleme Asiens nicht nur mit den Asiaten zu tun haben“, sagt Shamus Mok, Ökonom der Bank of East Asia in Hongkong. In den Mittelpunkt ist wieder der Internationale Währungsfonds (IWF) gerückt, der schon in den nächsten Tagen gezwungen sein könnte, ein neues Hilfspaket für Rußland zu schnüren.
Seit der Westen Ende Juli Moskau mit 22,5 Milliarden Dollar unterstützte, ist alles falsch gelaufen. Die Börse stürzte derart tief in den Keller, daß der Handel am 11. und 13. August ausgesetzt werden mußte. Gleichzeitig schnellten die Zinsen für kurzfristige Schulden auf 150 Prozent. Gleich reihenweise mußte die Moskauer Regierung Auktionen für Staatsschulden absagen, die den Haushalt entlastet hätten.
Dann kam die jüngste Hiobsbotschaft, daß die Steuereinnahmen weit tiefer sein werden als ursprünglich angenommen. Jetzt gähnt im öffentlichen Haushalt ein noch größeres Schuldenloch, das die Regierung eigentlich stopfen wollte.
Der Druck auf den Rubel hat sich deshalb massiv gesteigert. Wird nun der Rubel zum Auslöser einer neuen Abwertungsrunde, die zum längst befürchteten Fall des chinesischen Yuan führen könnte? Die russische Notenbank hat auch wenig zur Stabilität beigetragen. Eine längst notwendige Aufräumaktion im Finanzsektor ist ins Stocken geraten. Sie reicht Kredite an angeschlagene Banken noch weit unter marktüblichen Zinsen aus. Öl ins Feuer goß dann der international bekannte Investor Georges Soros, der für den Rubel eine Abwertung um 15 bis 25 Prozent empfahl.
In Tokio hat die drohende Gefahr aus Moskau zu neuer Unruhe geführt und den Yen erneut unter Druck gesetzt. „Ein Aufruhr im russischen Markt wird indirekte Folgen auf den japanischen Markt haben“, sagt Susumu Kato, der Chefökonom von Barclays Capital in Tokio. Gegenüber dem Yen sei die Stimmung derart schlecht, daß jede „Flucht in Qualität“ der Anleger gegen den Yen wirkt. Obwohl die japanischen Devisengurus im Finanzministerium den Aufwärtstrend der japanischen Währung zu stützen suchen, könnte ein abwertender Rubel diese Aktionen in den kommenden Tagen zu Fall bringen.
Die Folgen einer Abwertung für die russische Wirtschaft könnten jedoch auch fatal werden. Die ohnehin schon massive Kapitalflucht – pro Woche fließt eine Milliarde Dollar aus dem Land – würde noch beschleunigt.
Außerdem besteht die Gefahr, daß die Krise im Finanzmarkt schnell in eine politische Krise, begleitet von sozialen Unruhen, führen könnte. Anders als in den asiatischen Krisenländern ist die Desintegration der Gesellschaft in Rußland weiter fortgeschritten. Dagegen präsentiert sich beispielsweise Südkorea trotz Arbeiterprotesten und Demonstrationen noch als höchst stabil – weil in Seoul nicht der Staat, sondern die Unternehmen hoch verschuldet sind. Damit hat der Staat noch Manövrierraum, mit höheren Ausgaben mindestens teilweise soziale Notstände abzufedern.
Damit Moskau nicht schon im Herbst in den Staatsbankrott reitet, werden die Industrieländer nochmals tief in die Tasche greifen müssen. Der internationale Währungsfonds hat bereits eingesehen, daß das erste Rettungspaket ungenügend war. Noch ist unklar, wie das kommende Paket geschnürt werden muß, damit Moskau aus der Krise herausfindet. Dabei wird die Sanierung des Finanzsektors auf alle Fälle eine entscheidende Rolle spielen.
In diesem Punkt ähneln sich wiederum Rußland und Japan. Beide Länder hätscheln ihre angeschlagenen Banken und tragen damit entscheidend zur Unsicherheit auf den Weltfinanzmärkten bei. André Kunz, Tokio
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