Analyse: Die Hotline-Juristen
■ Anwälte wollen Rechtsberatung per Telefon gerichtlich verbieten lassen
Wenn die Berliner Anwältin Kerstin Niethammer-Jürgens Hotline-Dienst schiebt, dauert die Rechtsberatung selten länger als fünf Minuten, Kostenpunkt: 18,15 Mark. Das ist Durchschnitt bei „InfoGenie“, der Hotline für telefonische Rechtsberatung. Kerstin Niethammer-Jürgens ist eine von 80 Anwälten aus ganz Deutschland, die seit Jahresbeginn für eine Berliner Hotline-Betreiberfirma telefonische Rechtberatung anbieten: günstiger und bequemer als der normale Anwaltsbesuch, auf Wunsch sogar anonym. Bei Streitigkeiten über Miet- und Arbeitsverträge, in Ehe und Familie beraten die Anwälte aus dem Stegreif, manchmal bis zu zehn Fälle pro Stunde. Was bei den Verbrauchern gut ankommt – etwa 40.000 Bürger haben den Hotline-Dienst in diesem Jahr schon in Anspruch genommen –, ist den herkömmlichen Anwälten ein Dorn im Auge. 20 Klagen auf Unterlassung mußte der Hotline-Unternehmer bislang abwehren. Morgen soll es ihm erneut an den Kragen gehen. Die Anwaltskammer Düsseldorf klagt am Berliner Landgericht.
Die Düsseldorfer Anwälte zweifeln an der Seriosität ihrer Hotline-Kollegen: Am Telefon sei der Mandantenschutz nicht gewährleistet, sagen sie. Es bestehe die Gefahr des Parteienverrats, außerdem sei ungeklärt, wer bei falschen Auskünften hafte. Auch bangen die Kläger um ihr anwaltliches Standesrecht, das vorschreibt, daß Rechtsanwälte ihre Gebühren selbst einfordern müssen – bei der Hotline zieht die Telekom die Gebühren ein: 3,63 Mark zahlt der Anrufer pro Minute. Die Telekom behält 1,15 Mark, der Rest geht an den Hotline-Anwalt, der wiederum für jede dreieinhalbstündige Hotline-Schicht 50 Mark an die Betreiberfirma bezahlt.
„Die Anwälte befürchten, daß wir ihre Pfründe angraben“, glaubt Markus Demm, Erfinder und Geschäftsführer der Anwaltshotline. Die Klagen seien nichts anderes als der Versuch, einen unliebsamen Wettbewerber loszuwerden. Tatsächlich kann ein Anruf bei der Hotline zunächst nur die anwaltliche Erstberatung ersetzen und ist damit keine Alternative zum Mandat. Allerdings lohnt sich der Hotline-Dienst für die Anwälte nur durch die Mandanten, die sie per Telefon an Land ziehen. Meist würden „einfach gestrickte Leute“ anrufen, die sonst nicht zum Anwalt gingen, sagt Hotline-Anwältin Kerstin Niethammer-Jürgens. Diejenigen, die am Telefon Vertrauen zu ihr faßten, könnten sich auch weiterhin von ihr beraten lassen – allerdings zu marktüblichen Preisen.
Bei der Auseinandersetzung zwischen Anwaltskammern und Hotline-Betreibern geht es natürlich ums Geld. Die Düsseldorfer Anwaltskammer fürchtet zu Recht die Konkurrenz der Hotline. Den Berliner Richtern obliegt es nun zu entscheiden, wie eine zeitgemäße Rechtsberatung auszusehen hat. Heike Spannagel
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