Die Aufblähung der Robbies

■ Blohm & Voss auf der größten Musikmesse der Welt / Auf der Kölner Popkomm fanden sie endlich eine schlüssige Erklärung für den Alkoholis-mus: das ewige Leiden an der unerträglichen Blödigkeit des Starrummels

Durch eine verhängnisvolle Verkettung von Zufällen gelangten die beiden älteren Herren in den Besitz zweier Einladungen für die Popkomm, das alljährliche, notdürftig als Messe getarnte Besäufnis der Musikindustrie. Am Samstag treffen sich die beiden am Stand einer Firma, die Kaffee und Afri-Cola von farbigen Bediensteten servieren läßt. Zwar war für dieses Jahr ein großer, auffälliger Auftritt der Musikstadt Bremen angekündigt, doch Blohm & Voss entdeckten, wo immer sie auch hinblickten, lauter Stars, also Nichtbremer. Übrigens beanspruchen mittlerweile schätzungsweise 67 Prozent der Bevölkerung den Status des Ausnahmestars.

Blohm: Da sind Sie ja endlich. Sie haben ja keine Ahnung, was ich durchgemacht habe

Voss: Erzählen Sie! Sind Sie immer noch abstinent?

Blohm: Zu meiner Schande nicht, aber wissen Sie, gestern ...

Voss: Gestern sagten Sie noch zu mir, diese Messe sei nur nüchtern zu ertragen.

Blohm: Ich weiß, und Sie widersprachen mir vehement. Sie haben Recht behalten. Wo haben Sie gesteckt?

Voss: Ach, ich habe geschaut, wo junge Leute so hingehen, und landete bei Tocotronic, wo ich Stunden in der Schlange anstehen mußte.

Blohm: Wer Teil einer Jugendbewegung sein möchte, muß eben manchmal stillestehen. Dennoch haben Sie den besseren Teil gewählt. Ich mußte mich von Prominenz und dem, was sich dafür hielt, mit Nichtachtung strafen lassen.

Voss: Ein gekränktes Ego ...

Blohm: Eine Weile dachte ich, es sei ganz schön, einen Ort auf dieser Messe gefunden zu haben, wo ich allein sein konnte.

Voss: Kommen Sie zur Sache. Wo waren Sie?

Blohm: Ich war auf der VIVA-Comet-Verleihung und mußte mit ansehen, was man hierzulande unter Stars und Entertainern versteht. Wenn ich so darüber nachdenke, hat eigentlich nur Til Schweiger gefehlt ...

Voss: Was hatten Sie denn dort zu suchen?

Blohm: Das ist eine lange Geschichte.

Voss: Geben Sie mir die Kurzversion!

Blohm: Ich hatte eine Einladung zu dieser Veranstaltung, und zwar nicht nur zur Preisverleihung, sondern auch zur Party.

Voss: Sie Glückspilz.

Blohm: Warten Sie ab! Es war ein langer und staubiger Weg und ich der einzige, der ihn zu Fuß zurücklegte.

Voss: Sie wollten wohl wieder Rüstigkeit suggerieren.

Blohm: Erst ließ ich die Preisverleihung über mich ergehen. Es fing damit an, daß Marius Müller Westernhagen einen Preis an Michail Gorbatschow vergab und in seiner Laudatio meinte, wir als Deutsche müßten diesem Mann auf ewig dankbar sein.

Voss: Wie abgeschmackt!

Blohm: Sie sprechen mir aus dem Herzen. Aber der Mann ist immerhin prominent. Von da an ging es eigentlich nur bergab. Madonna und die Backstreet Boys gewannen zwar Preise, reisten aber gar nicht erst an. Die meisten Awards gingen wahrscheinlich an die Stars, die zufällig sowieso in der Stadt waren. Erwähnte ich, daß Wolfgang Niedecken auch da war? Und ein Robbie Williams wurde stracks zum Entertainer der Jahrtausendwende aufgebläht. Ob sich jemand noch an den erinnert, wenn es soweit ist? Und sagen Sie mir: Was ist das für ein Preis, bei dem Guildo Horn für den besten Live-Act ausgezeichnet wird?!

Voss: Nichts gegen diesen Mann! Ich habe uns sogar ein Autogramm organisiert!

Blohm: Wo haben Sie ihn denn gesehen?

Voss: Sie sind eben nicht der einzige mit VIP-Kontakt. Gestern stellte er auf der Messe seinen neuen Tanz vor. Der Deutsche Tanzschulenverband war auch mit von der Partie. Und die umstehenden Journalisten sollten nun diesen Tanz, der eigentlich gar keiner ist, nachmachen. Es war grotesk. Irgendwann kam dann Herr Horn mit einem Videoband, fragte, ob jemand Fragen hätte und entschwand. Kramt nach dem Autogramm

Sehen Sie: Für Bloom und Voss.

Blohm: Typisch. Für die korrekte Schreibweise Ihres Namens haben Sie natürlich gesorgt. Aber ich gebe zu, daß er unter all diesen Berufsjugendlichen mit Handys noch recht sympathisch wirkte.

Voss: Weil er außer Ihnen der einzige mit schütterem Haar war?

Blohm: Keineswegs. Oskar Lafontaines fahlen Haarwuchs durfte ich am Bierstand aus allernächster Nähe begutachten.

Voss: Sie müssen über die Prominenz nur so gestolpert sein.

Blohm: Eher ist die Prominenz über mich gestolpert, während ich da doch etwas verloren herumstand und verzweifelt nach Gesichtern suchte, die mir nicht nur aus dem Fernsehen bekannt waren. Einer von den Fantastischen Vier hat mich betrunken angerempelt, Dolly Buster konnte ich gerade nach ausweichen.

Voss: Wie Sie mir das so schildern, hört sich das eigentlich ziemlich aufregend an.

Blohm: Hätte ich wenigstens einen Bruder oder eine Schwester im Geiste gefunden, aber anscheinend ist diese Branche noch mehr als andere Geschäftszweige mit dem ungebrochenen Willen zur Selbstfeier gesegnet. Wenigstens das Büffet war exzellent. Und die Getränke waren auch gratis. Und da war ich nun unter lauter Parvenues und fühlte mich wie der reine Tor, der sich fragt, was er hier verloren hat. Hätten Sie da noch Mineralwasser getrunken?

Voss: Eine rhetorische Frage, wie ich hoffe.

Blohm: Sagt Ihnen der Name Modern Talking etwas? Aus mir unerfindlichen Gründen bekamen die einen Preis für ihr Lebenswerk. Ich gebe zu, daß sie eine schon ungesunde Bräune hatten, aber dafür wurden sie nicht geehrt. Die Moderatorin sagte, sie seien das erfolgreichste Pop-Duo der deutschen Geschichte. Nun, die ist ja schon immer für einiges gutgewesen. Bevor sie den Preis dann erhielten, mußten sie sich auch noch von einem Herrn Raab unter anderem als „Powerfrauen“ verglimpfen lassen.

Voss: Wissen Sie, die Popkomm hat mir stark zu denken gegeben. Schließlich sind das hier die Leute, die sozusagen die kulturelle Betreuung meiner Kinder besorgen.

Blohm: Das Schlimmste habe ich ja noch gar nicht erwähnt. Nachdem die vorgeblichen Hauptfiguren des Geschäfts, die sogenannten Künstler geehrt worden waren, wurden im Rahmen der besagten Party auch noch die erfolgreichen Funktionäre des Betriebes mit Preisen versorgt. Einer wurde mit den Worten „Ich liebe Marketing, denn mit Marketing ist alles möglich“ zitiert. Ich bitte Sie, da wird doch der nackte ökonomische Zwang, also die Not, sich am Markt durchzusetzen, nicht nur zu einer Tugend, sondern zu einer Kunst verklärt. Und wenn gegenwärtig niemand auskommt, ohne seine Haut zu Markte zu tragen, dann ist das zwar festzustellen, aber doch noch lange kein Grund zur Freude.

Voss: Daß Sie sich aber auch nie gehenlassen können. Kommen Sie mit zum Notwist-Konzert?

Blohm: Wohlan! Nach den Erfahrungen des gestrigen Tages werde ich an diesem Wochenende keinen Millimeter mehr von Ihnen weichen. Also gehen wir!