piwik no script img

In Bielefeld lacht sogar die CDU

Wenn Gregor Gysi nicht alleine im nächsten Bundestag die PDS vertreten will, muß er auch Stimmen im Westen sammeln. Erstmals hält er dort die Hälfte seiner Wahlkampfreden. Und nach der Stasi fragt ihn keiner. Eine Reisereportage  ■ Von Cornelia Fuchs

Im metallicfarbenen Audi wird Gregor Gysi von moderner Satellitentechnik durch Nordrhein-Westfalen dirigiert. Zwei, manchmal drei Termine am Tag: Kundgebung, Saalveranstaltung, Gesprächsrunde. „In 100 Metern bitte rechts abbiegen“, flötet die Digital- Fee aus dem Fond freundlich. Bis zum 27. September wird das Auto zum Wahlkampfbüro. In der Ablage des Rücksitzes vor Gysis Füßen stapelt sich das Zigarettendepot, unersetzlich für den Streßabbau zwischen Telefonaten mit Partei und Familie und Antworten auf Fragen, die dem medienerfahrenen Gysi komisch vorkommen. Eine Frauenzeitschrift will wissen, wie er die Geburt seiner Tochter erlebt hat. „Ja, glauben die denn, ich kehre einfach mein Innerstes nach außen?“ fragt Gysi erstaunt die Mitfahrer. Dann antwortet er doch, wenn auch ausweichend: Er sei gleichzeitig Helfer und Störenfried im Kreißsaal gewesen. So sieht er auch seine Rolle in der deutschen Gesellschaft.

Gregor Gysi wird im nächsten Bundestag sitzen, ganz egal, ob es seine Partei schafft oder nicht. Sein Direktmandat in Berlin-Marzahn ist ihm sicher, die Frage höchstens, ob er über oder unter 45 Prozent der Erststimmen bekommt. Doch wenn er im Bundestag nicht allein sitzen will, muß er mit seiner Partei im Westen um jede Zweitstimme kämpfen. Seit vier Wochen ist Gysi auf Wahlkampftour, erstmals hält er die Hälfte seiner Wahlkampfreden in Westdeutschland. „In Traunstein und Villingen-Schwenningen haben die Leute noch nie ein lebendiges PDS-Mitglied gesehen – da mußte ich hin“, sagt Gysi.

Die Direktkandidaten, die an den Kundgebungsorten auf den PDS-Star warten, sind nicht mehr als die Stehpult-Schieber. Gysi will die Fünfprozenthürde überspringen, dafür braucht er die Zweitstimmen seiner Zuhörer und keine Erststimmen für aussichtslose Westkandidaten. Daher gilt vor den Veranstaltungen: Konzentration auf seine Rede, auf die Menschen vor Ort, keine Zeit für versöhnliche Ost-West-Parteiarbeit. Sobald Gysi aussteigt, sammelt sich ein Pulk um ihn, Fernsehkameras, Mikrofone, Autogrammjäger. Erst wenn er auf dem Podium steht, wirkt Gysi gelöst. Dann kann er anfangen zu improvisieren. Er spricht frei, paßt sich der Stimmung an, variiert seine Argumente und Anekdoten. Der Rechtsanwalt kann mit Angriffen gut umgehen: „Das ist so eine typische Westeigenschaft, daß Leute mit der Absicht kommen, eine intellektuelle Herausforderung als Gegnerschaft anzunehmen – also nach dem Motto: Dem zeig' ich es heute mal.“

Der Saal in Bielefeld faßt 300 Personen, gekommen sind fast 1.000, die meisten unter 30 Jahren. Der Applaus feuert an: Gysi trotzt völlig durchgeschwitzt im grauen Anzug der sauerstofffreien Schwüle im Saal mit einer anderthalbstündigen Rede. Kaum jemand geht früher. Der 84jährige Werner Ebel ist extra mit roten Socken gekommen, „weil Gysi das beste Aushängeschild der PDS ist und sein Urteil gerechter als das jedes anderen“. Die 40jährige Elke Auf der Heide will der PDS ihre Stimme geben, um damit die Machthabenden zu „pieksen, obwohl ich selber nicht arm bin“. Einer SPD-Regierung traut sie die Lösung sozialer Ungerechtigkeiten nicht zu. In einer solcher Atmosphäre blüht Gysi auf: Er duzt Unbekannte und macht berlinernd das Podium zum Familientisch: „Die PDS ist nicht ideal. Aber habt ihr wat anderet hinjekricht? Nee? Ick ooch nischt!“ Donnernder Applaus. Sogar die Bielefelder CDU- Politiker in der ersten Reihe lachen. Politische Gegner entwaffnet er mit rhetorischem Charme, mit westdeutschen Altlinken hat Gysi Schwierigkeiten.

In Düsseldorf ist die Stimmung aggressiv, es gab eine Gegendemonstration der NDP, angeblich wurden Antifa-Leute verhaftet. Gysi glaubt, die Situation entschärfen zu können: „Laßt mich doch mal raus, mit mir geht das doch glatt.“ Wütender Protest: „Du bist so arrogant, da draußen haben ganz andere den Kopf hingehalten.“ Gysi beißt zurück: „Wenn ich voller Selbstbescheidenheit in diesem Bundestag aufgetreten wäre, dann wäre ich schon längst unter der Erde.“ Danach will sich die lockere Stimmung der anderen Veranstaltungen nicht mehr einstellen, die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit und Umverteilung verhallt merkwürdig hohl. In der Fragestunde wird Kritik geübt: „Du hättest ruhig konkreter werden können, mir fehlt dein Gesellschaftsmodell in deiner Rede.“ Gysi reagiert empfindlich: „Also, ich denke nicht, daß es nötig ist, daß ich hier Noten bekomme. Dies war eine Wahlkampfrede.“ Beim Hinausgehen meint einer: „Der war schon lustig, aber na ja...“

Gysi braucht den Kontakt zu den Menschen, um zu sehen, was ankommt. Das sagt seine persönliche Referentin Marlies Keller. „Die Leute wählen mich, also bin ich schon repräsentativ für die PDS“, sagt Gysi über Gysi. Beim großen Wahlkampfauftakt der PDS in Köln am vergangenen Samstag hat er sich anläßlich der Musikmesse PopKomm und der 750jährigen Domfeier in der Gunst der Zuschauer gleich mit Boygroups und Nationaldenkmal messen müssen. Es sind nicht halb so viele Leute nach Köln wie in das viel kleinere Bielefeld gekommen. Hier wie auch auf allen anderen westdeutschen Veranstaltungen fragt niemand nach Gysis angeblicher Stasi-Vergangenheit. „1994 bin ich im Westen noch behandelt worden wie der neue Leiter der Ständigen Vertretung der DDR in der BRD. Jetzt fragen die Leute nicht nur nach dem Osten, sondern ich werde jetzt konsequent Bundespolitik abgefragt“, sagt Gysi. Das sei die Chance – für ihn und die PDS: „Dann könnte ich für die Linke insgesamt Anwalt sein.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen