: Mütter ratlos vor der steilen Treppe
■ Mercedes-Werk wächst und schneidet die Eisenbahnersiedlung von Hemelingen ab / Bis die versprochene Brücke kommt, stehen Kinderwagen und Radfahrer hilflos vor einem Provisorium
Daimler Benz drängt sich ins Leben der Menschen aus der Eisenbahnersiedlung. Das wachsende Bremer Mercedes-Werk schneidet die gewohnten Wege ins jenseits der Bahnlinie gelegene Hemelingen ab. Zumindest mit Fahrrad oder Kinderwagen dürfte der Gang zum Einkaufen, zum Arzt oder zur Schule über eine steile Behelfsbrücke jetzt für viele Monate sehr beschwerlich werden.
„Wie soll ich da jemals rüberkommen“, fragt eine Frau mit ihrem Einkauf im Fahrradkorb verzweifelt. „Ich rufe gnadenlos jedes Mal den Pförtner von Mercedes, daß er mir mit dem Kinderwagen hilft“, sagt Carola Binnemann empört. Bisher schob die junge Mutter bequem ihren Kinderwagen über die Sulzbacher Straße zum Bahnübergang. Aber die Straße wird jetzt dichtgemacht und der Grund Mercedes zugeschlagen.
Auch elf Häuser des Eisenbahn Spar- und Bauvereins (Espabau) müssen der Abrißbirne weichen. Einige wenige Mieter pokern noch um Schadenersatz. „Einer will 70.000 Mark haben“, wissen die Nachbarn. Espabau geht davon aus, alle Kosten erstattet zu bekommen. Die Baubehörde findet, Mercedes müsse zahlen, schließlich wollten sie das Gelände.
Das an der Kapazitätsgrenze arbeitende Autowerk braucht das Areal, um seine neu erworbenen Grundstücke und eine alte Halle des Eisenbahn-Ausbesserungswerks an sein Fabrikgelände anzubinden. Noch müssen die vielen schweren LKW einen engen Schlenker über die Sulzbacher Straße fahren, auf der auch Kinder und Alte radeln: „Das ist nicht zu verantworten“, so Mercedes-Sprecher Wendelin von Machui.
Die Autobauer wollen ihren Gleisanschluß künftig stärker nutzen. Motoren aus Untertürkheim werden per Bahn angeliefert und nach Bedarf durch den geplanten 33 Meter breiten Transportkorridor über das ehemalige Siedlungsgelände in die Montagehallen gebracht. Außerdem lagern südlich der heutigen Sulzbacher Straße tonnenschwere Werkzeuge, mit denen die Pressen für Karosseriebleche wechselweise bestückt werden.
Für Mercedes macht der Sprung nach Süden also Sinn, auch wenn das Werksgelände dann die Ost-West-Verbindung der Nachbarn unterbricht. Die Planer in der Baubehörde hatten jedoch ein Einsehen mit den Menschen: Künftig soll eine Fuß- und Radwegebrücke die Stadtteile verbinden. Zwischen bis auf sechs Meter ansteigenden Rampen soll die Brücke 132 Meter lang Gleise und Hochspannungsleitungen überqueren. Die Ingenieure der von der Stadt beauftragten GEWOBA-Tochterfirma GPV kalkulieren Kosten von vier Millionen Mark für den Brückenschlag zwischen Saarstraße und Funkschneise. Das Geld sei da, sagt GPV-Chef Dietmar Pompe, schließlich komme es aus dem Topf für den Hemelinger Tunnel. Selbst wenn man auf die vier Millionen für die Brücke noch 20 Millionen Mark für eine geplante Straße hinzurechnet, die das Gewerbegebiet Funkschneise, das Eisenbahnwerk und Mercedes von der anderen Seite über die Osterholzer Feldmark erschließen soll, bleibe man immer noch unter den ursprünglich angesetzten Kosten. Immerhin war bis Herbst 1997 noch eine 40 Millionen Mark teure doppelte Autobrücke von Westen über die Bahngleise und den Mercedes-Werkskorridor geplant.
Die Nachbarn aus der Eisenbahnersiedlung stehen unterdessen hilflos vor der steilen Behelfsbrücke und wittern Unrat, weil sie niemand informiert. Carola Binnemann fürchtet, daß die versprochene Brücke verzögert wird, die Leute ihre alten Wege vergessen und die Verbindung nie mehr kommt. GPV-Planer Pompe widerspricht: „Wir bauen 1999“. Denn im Expo-Jahr 2000 hat die Deutsche Bahn Bauarbeiten in Gleisbereichen verboten. Joachim Fahrun
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