: Und der Sieg ist blau, so blau
Die „Kampa“, die Wahlkampfzentrale der SPD in Bonn, hat sich selbst zum Markenzeichen der Partei stilisiert und mit ihren Erfolgen die SPD auch von innen verändert ■ Von Dieter Rulff
Treffen sich zwei Wahlkämpfer auf der Straße. Strahlt der eine: „Wie geht's?“ Strahlt der andere: „Gut, und wenn nicht, würde ich es dir nicht sagen.“ Wahlkampfzeit in Bonn. Allen geht's prächtig, aber nicht jeder hat Grund dazu. Die rüde Antwort ist Programm, und der, von dem sie kommt, hat Grund zur guten Laune: Matthias Machnig managt den Wahlkampf der SPD. Der andere Wahlkämpfer, Harald Händel, ist Pressesprecher bei den Bündnisgrünen. Machnig verabschiedet sich mit professionellem Grinsen und eilt, Jackett über der Schulter, in sein Büro.
Machnigs Schreibtisch steht im zweiten Stock eines Büroquaders aus den 60er Jahren, dessen trister Charme noch durch das satte Aquamarinblau dringt, in dem der Block gestrichen ist, seit die Wahlkampfzentrale der SPD, die „Kampa“, hier einzog. Das war vor knapp einem Jahr. Alles am, im und um das Haus ist nun Botschaft: das Blau der Mauern und das Rot des Ballons auf dem Dach. Die hundert Meter zur SPD-Zentrale im Ollenhauer-Haus, die die Distanz markieren, die notwendig war, um den Aufbruch glaubwürdig zu machen. Die überdimensionale Digitaluhr an der Fassade, die, rückwärts laufend, die Richtung anzeigt: Noch achtundvierzig Tage, acht Stunden und dreißig Minuten bis zum Wahltag. Ein Regierungswechsel so unaufhaltsam wie ein Raketenstart. Und ebenfalls nur hundert Meter weg, auf der anderen Seite der Friedrich- Ebert-Allee, steht das Konrad- Adenauer-Haus, nahe genug, um den Gegner im Auge zu haben.
So wie Machnig hinter seinem Schreibtisch sitzt, scheint er bis zum 27. September tatsächlich nur noch den einen oder anderen Hebel umlegen zu müssen, um das gewünschte Resultat zur erzielen. Es sei noch nichts entschieden, heißt es aus dem Mund des 38jährigen, wir haben alles im Griff, sagen die Arme, die sich hinter dem Kopf verschränken. Die Augen strahlen die Zuversicht desjenigen aus, der gegen viele Zweifel – auch die eigenen – recht behalten hat.
Weniger Juso, mehr young professional
Machnig redet gerne von Kommunikation, Image und Präsentation, doch weiß er auch, woher er kommt und zu wem er spricht. Das ist sein Vorteil. Er ist kein Werbeprofi, sondern Autodidakt mit klassischer SPD-Karriere. Er hat Soziologie studiert und noch in den 80er Jahren im Bundesausschuß der Jusos „weltfremde Debatten“ geführt, „die Kritische Theorie rauf und runter“. Das brachte ihn nicht viel weiter, ist nun aber hilfreich, um einfühlsam auf kritische Journalisten zu reagieren, die sich über den Budenzauber der SPD mokieren. Machnig agiert dabei mit jenem rheinischen Charme, der keine Frage offenläßt, aber auch nicht alle beantwortet. Sein Weg in die Wunderwelt der Werbewirtschaft führte über die Gesellschaftstheorien des italienischen Marxisten Gramsci. Der Weg zum Erfolg der SPD hat mehr mit der wundersamen Paarung Machnig/Müntefering zu tun.
Der Soziologe Machnig wurde Anfang der neunziger Jahre Mitarbeiter des kaufmännischen Angestellten Müntefering. Damals saß Franz Müntefering im Bundestag. Als er 1995 zum Bundesgeschäftsführer berufen wurde, blieb Machnig bei ihm. Beim Einzug ins Ollenhauer-Haus fanden die beiden nicht nur einen verkrusteten Apparat vor, sondern waren auch mit einer Öffentlichkeit konfrontiert, die der SPD nur noch in Einzelfragen Kompetenz zugestand. Für zukunftsfähig hielt eine Mehrheit der Deutschen damals die CDU.
Um der Union dieses Image streitig zu machen, entdeckten die SPD-Modernisierer den Begriff der Innovation für sich. Sie entwickelten ein sozialdemokratisches Leitbild, das sowohl das Feld der Wirtschaft besetzte als auch in die Zukunft wies. Binnen weniger Wochen wandelte sich die Globalisierung vom Menetekel zur Chance. Noch 1995 war Gerhard Schröder als wirtschaftpolitischer Sprecher der Partei gefeuert worden, weil er nicht von sozialdemokratischer, sondern nur von „moderner Wirtschaftspolitik“ geredet hatte – jetzt akzeptiert die Partei mit Jost Stollmann einen Vertreter dieser „modernen Wirtschaftspolitik“. Die inhaltliche Auseinandersetzung in der SPD, die viele noch einfordern, sie fand bereits damals statt. Kaum bemerkt, weil geräuschloser als bei Sozialdemokratens üblich. Parallel dazu wurden die Wahlkampfvorbereitungen vorangetrieben, wurde externer Sachverstand engagiert.
Das Resultat, die SPD-Kampagne 1998, ist ein ineinandergreifendes Getriebe von Gegnerbeobachtung und Medieninszenierung, Meinungsanalyse und Meinungsmache, Creative-Teams und Event-Agenturen. Weniger Juso, mehr young professional ist der Mix, der Erfolg verspricht. Machnig hat ihn angerührt, Franz Müntefering gab die nötigen Mittel. Das Rezept haben sich der Bundesgeschäftsführer und sein Büroleiter in den USA und Großbritannien abgeguckt. Sie studierten bei Bill Clinton und Tony Blair eine Wahlkampfführung, die ganz auf mediale Wirkung zielt und nichts dem Zufall überläßt, und haben sie nach und nach dem deutschen Geschmack angepaßt. Dabei ist nicht unbedingt alles nach Gusto der SPD gelaufen. Die Amerikanisierung des Wahlkampfes galt vielen in der Partei als Verstoß gegen die guten politischen Sitten.
Doch Fragen nach innerparteilichem Widerspruch beantwortet Franz Müntefering nur ausweichend. Ob das Programm zur Inneren Sicherheit, das Otto Schily überraschend einen Tag vor der CDU präsentierte, von der gesamten Partei getragen werde? Es sei eine Frage der Geistesgegenwart gewesen, dafür zu sorgen, daß die andere Seite nicht punktet, antwortet der Bundesgeschäftsführer. Ob er in den letzten Monaten denn auch mal nervös geworden sei? Münteferings linke Augenbraue formt einen spitzen Winkel: „Man spricht nicht über eigene Fehler.“ Nachfragen zwecklos. Man habe mit der Pressearbeit gute Erfahrungen gemacht, „wir vermeiden, negative Botschaften zu senden. Das ist ein Gebot der Klugheit.“
Müntefering ist nicht nur klug, sondern auch die gewandelte SPD in Person. Er verbreitet eine Ruhrpott-Aura der 70er Jahre. Die glatten Haarsträhnen über den Ohren, gekleidet in „Designerklamotten von C&A“, wie Kandidat Schröder gerne lästert, ist er ein Abziehbild jener Arbeiter-SPD, über die er sich, das Bild trefflich ironisierend, sogleich hinwegsetzt. Sein Auftritt in der Harald-Schmidt- Show offenbarte den Schalk von Schalke: Ein Politiker mit Witz und emotionalen Qualitäten – der sich durchzusetzen weiß.
Müntefering hat die Wahlkampfführung in die Kampa verlagert und sich damit dem Zugriff der Funktionäre entzogen. Das von ihm installierte Intranet funktioniert wie ein riesiger SPD-Ortsverein an der Datenautobahn. Jeden Morgen erfahren so 1.000 Partei-Multiplikatoren per Tastendruck vom Vorsteher Müntefering die Tagesparole.
An diesem Mittwoch morgen stimmt Müntefering die Genossen auf den ersten Auftritt des Bundeskanzlers nach dem Urlaub ein. Kohl werde den Aufschwung feiern – habe ihn aber am Arbeitsmarkt nicht erreicht. Mut macht er dem Fußvolk von Flensburg bis Füssen mit den neuesten Umfragen des Allensbacher Instituts: Satte 10 Prozent liege die SPD vor der CDU.
Auch für Helmut Kohl scheinen die Allensbacher Zahlen an diesem Tag Anlaß zur Freude zu geben. Als der Bundeskanzler mittags vor die Bundespressekonferenz tritt, um den dritten Teil des CDU/CSU-Wahlprogramms zu erläutern, verweist er auf die wachsende Zahl von Bürgern, die einen Aufschwung erwarten. Den 10-Prozent-Vorsprung der SPD steckt er mit dem Satz weg, es sei noch alles offen. Daß die Wahl noch nicht gelaufen ist, weiß auch der von der Kampa geschickte sozialdemokratische Gegnerbeobachter hinten im Saal.
Daß sich an diesem Tag der Trend nicht wendet, daran hat er in den letzten Tagen gearbeitet. Die Sensoren der SPD reichen bis ins Konrad-Adenauer-Haus, der Text des Wahlprogramms lag der Kampa lange vor der CDU-Pressekonferenz vor. Und der Gegnerbeobachter hat auch schon die Antwort geschrieben, die Oskar Lafontaine nach Kohls Auftritt in Saarbrücken geben wird. Das Interesse der Journalisten, prognostiziert der Kampa-Mann, werde sich mehr auf das Verhältnis Kohl/ Schäuble richten als auf das CDU- Programm. Und er behält recht. Genervt erklärt Kohl auf entsprechende Fragen, daß er selbstverständlich von seinem Posten zurücktreten werde, sollte er die Wahl verlieren. Das wird die Hauptnachricht. „Ein ziemlicher Fehler“, freut sich man sich in der Kampa.
Die Kampa ist selbst SPD-Markenzeichen
Noch nie ist die Sozialdemokratie so einfühlsam auf die Union eingegangen. Schon zur Jahreswende schrieb das Team der Gegnerbeobachter ein Drehbuch des CDU- Wahlkampfes, fertigte Persönlichkeitsprofile maßgeblicher Politiker und deklinierte in Planspielen das christdemokratische Auftreten durch. So war man gegen die PDS- Debatte ebenso gerüstet wie gegen persönliche Attacken auf den eigenen Kandidaten. Staatstragend konterte Schröder via FAZ-Anzeige im Mai mit dem Spruch „Zuerst das Land, und dann die Parteien“, als Kohl ihn den „charakterlosesten Herausforderer, den ich kenne“, genannt hatte.
Nicht nur, weil er die CDU- Strategie durcheinanderbrachte, gilt Schröder mittlerweile in der Kampa als idealer Kandidat. Schröder war auch der „Lackmustest auf die Veränderungsbereitschaft der SPD“, meint Machnig. Der Test gilt als bestanden. Kommunikation sei von Personen abhängig, und Schröder wird in der SPD vor allem als ideale Besetzung für die elektronischen Medien angesehen. Wie der seine Botschaft in kurzen, klaren Sätzen rüberbringe, das findet der Sprecher der Partei, Michael Donnermeyer, schon genial. Parteien seien Markenartikel, die in Konkurrenz zu anderen Markenartikeln stünden.
Und die Kampa verkauft nicht nur den Artikel SPD, sie ist selbst eines der neuen Markenzeichen der Partei. Berichte über die Kampa sind zugleich werbende Kommunikation über das Produkt SPD. Das wissen die Öffentlichkeitsstrategen natürlich. Wie denn die Berichte bisher gewesen seien? Man sei sehr zufrieden. Na dann: Der SPD geht es gut, und wenn nicht, erfahren Sie es am 27. September.
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