: Auch Maden können Freundschaft schließen
■ Die Galerie Herold im hintersten, linkesten Eck des riesigen alten Güterbahnhofs zeigt die wunderbaren Wild-West-Grotesken von Kinky Texas / Eröffnung heute abend
Ach, wie angenehm ist doch ein Besuch bei Kinky Texas. Da wird man nicht gejagt durch schweißtreibende Sinnlabyrinthe. Denn: „Gestern setzte ich mich hin und habe nachgedacht über die Bedeutung meiner Bilder“ – erst gestern??? – „und kam zum Schluß: Es gibt sie nicht.“ Gute Gründe für diese Sinnsabotage hat es auch: „Für die Vermittlung philosophischer, ökonomischer und politischer Inhalte ist die bildende Kunst nicht gerade besonders gut geeignet.“ Da gibt es Besseres: Zum Beispiel die gute, alte Sprache. Börsencrash in Hongkong zum Beispiel oder Castortransporte haben mehr verdient als ein paar ominöse Chiffren auf Jutepapier. Was im ersten Moment wie eine Rückstufung der Malerei wirkt, empfindet Kinky als Befreiung. Endlich darf Malen Spaß machen, unterhalten, genau wie das Tennisspielen; nur eben ganz anders. Und so kann man mit absoluter Sicherheit ausschließen, daß Kinky einen schwarzen Kreis zu einer Metapher für die Perfektion des Bösen in der Welt aufmotzt oder eine Coladose zu einem Gleichnis über die gefräßige Macht der Medien auf unsere Mägen verkommen läßt.
Aber eigentlich gibt es bei Kinky weder Kreise noch Coladosen, sondern schießwütige Cowboys, degenerierte Superhelden und Elvis in allen Lebenslagen (fast allen: Der Hüftschwung fehlt – schmacht). Diese Herren sind, was sie sind (und Herr Texas zum Glück nicht ist): nämlich Monster mit bedrohlichen Perlenkettengebissen zum Fürchten, Lachen und Liebhaben. Und somit wäre dies der ideale Moment zum Beenden dieses Textes. Denn wo es keine Bedeutung gibt, braucht es auch keine Deuter. Aber warum nicht einfach mal zur puren Unterhaltung plaudern, so wie Tennisspielen, zum Beispiel über die Vorlieben des Künstlers. Die gelten zum Beispiel Heldencomics, Westernfilmen, aber auch Kultthrillern wie Peckinpahs „Getaway“ oder Friedkins „French connection“ – und Rock-n-Roll. Natürlich ist Kinkys Sympathie für all diese mehr oder weniger trashigen Dinge eine äußerst vertrackte; durch die Hintertür nähert sie sich außerdem. Zu Elvis etwa kam er über Düsterlinge der Indieszene wie Nick Cave. Die nämlich verehren Elvis wie einen Heiligen. Im Comic gehört sein Herz eher den Fieslingen als den Helden.
Einmal saß er an einem Computerspiel, glotzte in den Monitor – und glotzte gleichzeitig aus einem Fenster der fiktiven Wirklichkeit. Dort teilte eine Leuchtreklame ihm mit, daß seine Lebenskerze kurz vor dem Erlöschen sei. Ein Schock. Zumindest für das Alter ego aus der anderen Wirklichkeit. Kinky fragte sich, was wohl so ein armer Verfolgter für Graffitis sprayen würde; malte sich's aus – und malte es auf vier Quadratmetern Leinwand, in der wirklichen Welt.
Ein anderes Bild zeigt einen R-&-R-Star. Doch in Wirklichkeit ist es gar kein Bild von einem R'n'R-Star, sondern ein Bild davon, wie ein Fan des R'n'R-Stars diesen wohl sehen würde. „Eine Art Verfremdungstechnik – aber natürlich nicht marxistisch.“
Beuys findet er natürlich widerwärtig; „Die Gesellschaft als sozialer Organismus – uähhh.“ Besonders nervt ihn der „Es geht bei meiner Kunst um große Dinge, aber um welche, das liegt ganz bei Dir, und überhaupt kann sich jeder seine eigene Meinung bilden“-Jargon. Wenn es nämlich ernst, also politisch wird, legt Kinky allergrößten Wert auf Präzision. Volkswirtschaftliche Zusammenhänge zum Beispiel lassen sich durchaus verbindlich erklären; man muß sich nur Mühe geben. Nur in Sachen Fußball ringt er sich allmählich zu postmoderner Unentschieden-heit durch: Denn nur wenn man keinen Favoriten mehr hat, läßt sich jeder Spielzug voll und ganz genießen.
Der Verzicht auf die großen Botschaften hat Kinky gut getan. „Seit ich keine Nervenkrise mehr bekomme, nur weil ich mal nicht gemalt habe, macht es viel Spaß.“ Nervenkrise? „Vielleicht muß es richtiger heißen: Seit ich mich nicht mehr als Künstler fühle...“ Ein bekennender Hobbymaler also. Trotzdem ist sein Formgefühl professionell. Rot, Gelb, Grün bricht mit dezenter Heftigkeit aus weißen und grauen Flächen hervor. Ein schwarzer Balken am oberen Bildrand oder eine große weiße Fläche unten zeigen das Wissen vom nötigen Maß an Ungleichgewicht. Die Kontur ist so zerzaust wie Monsters heiter-gemeine Seele. Brutalität wird abgefedert durch Gags am Rande: dem kecken Pudelschwänzen eines blutrünstigen Monsters; den Kuhflecken im Gesicht des Cow-boys; dem Totenkopf unter dem Sheriffstern etc. Sinnsucher können übrigens mindestens eine Botschaft für den Tierfreund mit nach Hause nehmen: Auch Maden können gute Freunde sein. Und: Ihr Lächeln ist sehr sexy. bk
Eröffnung heute, 21. August, 20 Uhr; zu sehen bis 4. September
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