: Kopftuch
■ betr.: Debatte auf Meinungs- und LeserInnenbriefseiten der taz
Die Behauptung, das Kopftuch von Frau Ludin wäre mit einem Klassenzimmer-Kruzifix nicht zu vergleichen, geht von einer Voraussetzung aus, die für mich so nicht haltbar ist:
Der Autoritätsanspruch beider Religionen ist (noch?) nicht vergleichbar. Während bei uns die Macht der christlichen „Moral“ bereits auf weiten Strecken zerschlagen werden konnte – zum Glück, kann ich nur sagen, nach all den Jahrhunderten der Knebelung und des Zwangs –, kann der Islam – ebenfalls eine zutiefst dogmatische und kollektivistische Religion – auch und gerade heute seine „Abweichler“ mit gesellschaftlicher Ächtung bestrafen und die Ausprägung einer individuellen Moral erfolgreich verhindern.
Wenn also das Recht auf Individualismus für unsere Kultur ein Wert an sich ist – was ich doch sehr hoffe –, dann kann man den vielen türkischen usw. Schulkindern, die in Deutschland unterrichtet werden, nicht zumuten, ihre eventuellen, und wenn ja, sehr zu begrüßenden Emanzipationsbestrebungen jeden Tag mit einem Symbol reaktionärer Sittenvorschriften konfrontiert zu sehen.
Das hat nichts mit christlichem Abendland zu tun, sondern mit den Gedanken der Aufklärung, die in der islamischen Welt – zu ihrem großen Nachteil, wie ich meine – bis heute keinen Durchbruch erzielen konnten.
In Zeiten, in denen Organisationen wie Milli Goerues oder die Uelkuecue (Graue Wölfe) wieder verstärkt rekrutieren, sollte der Rückfall in religiöse Gehirnvernebelung, wie sie unter Deutschtürken zur Zeit dramatisch um sich greift, nicht auch noch unterstützt werden. Florian Suittenpointner,
München
Ein Kopftuch ist kein Hakenkreuz, die Form der Tellermütze von Wehrmacht und SS wird allerdings heute noch unbeanstandet von Parkwächtern, Bundeswehroffizieren und Freizeitkapitänen getragen. Ein Kopftuch ist auch keine islamische Erfindung. Auf gut katholischen oder evangelischen, bayrischen oder pommerschen Dörfern wurde es von unseren (Ur-)Großmüttern immer getragen. Im Orient tragen es selbstverständlich auch Männer: Die Keffiye, heute fälschlich „Palästinenser-Tuch“ genannt, war einmal Exportschlager der Lausitzer Textilindustrie in die arabischen Länder, Spreewälder Bäuerinnen banden mit der zweiten Wahl ihre Kiepen zu, wenn sie nach Berlin auf den Markt fuhren.
Drei Streifen auf den Turnschuhen oder der Sportjacke und das Hörnersymbol einer anderen Marke, die sich zu Unrecht auf eine griechische Göttin beruft, haben auch sehr viel mit der Unterdrückung von Frauen zu tun: in mittelamerikanischen Textilfabriken oder gar in ostasiatischen Gefängnissen.
Der Glatzkopf wird, im Gegensatz zum Kopftuch, in Schulen geduldet: Ist er nicht viel mehr Zeichen der Abgrenzung von der Zivilgesellschaft und Ausgrenzung Andersdenkender?
Kochtuch und kein Ende! Es scheint fürwahr in dieser Debatte schon alles gesagt zu sein. Außer diesem: Der antiarabischen Variationen des Antisemitismus sollte die taz keinen Raum geben, auch wenn er sich als Anti-Islamismus tarnt – und der Einfachheit halber Türken, Perser, Bosnier, Albaner und alles Fremde gleich mit in den gleichen Topf wirft.
Ein deutsches muslimisches Ehepaar, das ausgewandert war, zog aus der Türkei nach Deutschland zurück, weil es hier Religionsfreiheit gab, und man sein Kopftuch tragen durfte. Inzwischen wird es schwerer und schwerer mit den immer deutscher tümelnden Deutschen zusammenzuleben, gerade wenn man selber Deutscher und noch nicht einmal Muslim ist. Jürn-Hinrich Volkmann, Berlin
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