: Die nationalistische Euphorie ist verflogen
Indiens Regierungskoalition steht nach nur fünf Monaten Amtszeit sich selbst im Weg. Vertreter der Hindu-Partei BJP sehnen sich schon in die Opposition zurück, doch dort will die Kongreßpartei noch bleiben ■ Aus Delhi Bernard Imhasly
Nur fünf Monate nach ihrer Amtseinsetzung ist die von der nationalistischen Hindu-Partei BJP geführte indische Koalitionsregierung bereits mehrfach heftig ins Schlingern geraten. Selbst BJP- Vertreter sprechen davon, daß eine Rückkehr zum Wähler – oder gar in die Opposition – eine denkbare Option sei. Der unmittelbare Anlaß der Regierungskrisen sind meist Spannungen zwischen der BJP und ihren zahlreichen kleinen Koalitionspartnern, allen voran der südindischen AIADMK-Parteiengruppe unter ihrer gewichtigen Führerin J. Jayalalitha. Ein Grund ist aber auch die Unfähigkeit der BJP, ihre eigenen Gesetzesvorlagen im Parlament durchzubringen, weil ihre eigenen Parteivertreter sie nicht selten selbst zu Fall bringen.
Zudem steht Premierminister Atal Behari Vajpayee außenpolitisch vor einem Trümmerhaufen. Dessen Ursachen sind nicht so sehr die indischen Nukleartests von Mitte Mai als vielmehr das politische Mißmanagement ihrer außenpolitischen Nachbeben.
Der 72jährige Vajpayee verfügt im Parlament nur über eine dünne Mehrheit. Spannungen mit den regionalen Partnern, die oft genug nur ihre Provinzinteressen vor Augen haben, bringen die Regierung jeweils rasch an den Rand des Abgrunds. In den letzten Tagen war es wiederum Jayalalitha, die eine überfällige Einigung zwischen den südlichen Bundesstaaten Karnataka und Tamil Nadu in der Aufteilung des Wassers des Cauvery- Stroms zum Anlaß nahm, um Vajpayee das Messer an die Brust zu setzen. Diesmal stieß sie sogar zu. Denn am vergangenen Sonntag beschuldigte sie Personen im Umkreis des Premierministers der Korruption. Dies war selbst für den geduldigen Vajpayee zuviel. Statt wie üblich einen Emissär nach Madras zu schicken, um die mimosenhafte Dame zu beruhigen, schoß er zurück und forderte Jayalalitha auf, Beweise vorzulegen.
Gleichzeitig sagten Parteimanager vor der Presse, die BJP könne auch mit einer Minderheit regieren oder falls nötig wieder vors Volk gehen. Neuwahlen wären ein kalkulierbares Risiko, wenn sich die BJP als Opfer von Parteiegoismen darstellen könnte. Aber ihre gegenwärtige Schwäche ist auch das Resultat von Inkompetenz und mangelnder Disziplin in der eigenen Partei.
Der erste Haushalt kurz nach den Nukleartests im Mai war von entscheidender Bedeutung, um mit Anreizen für Auslandsinvestitionen die internationalen Sanktionen zu unterlaufen und mit Reformmaßnahmen der Wirtschaft aus ihrer Rezession zu helfen. Finanzminister Yashwant Sinha tat dies aber so halbherzig, daß die Reaktionen im In- und Ausland negativ ausfielen. Selbst seine zaghaften Versuche, etwa den Versicherungsmarkt für private Versicherungen zu öffnen, wurden schließlich aus den eigenen Reihen abgeschossen.
Kurz darauf mußte auch Vajpayee die Gesetzesvorlage für einen 30prozentigen Frauenanteil in allen Parlamenten zurückziehen. Die Allianz aus Opposition und innerparteilichen Taktikern führte zu einem Rückzug der Vorlage. Sie zeigte den Frauen im Land, daß die Wahlfaktoren Kaste und Religion – die Unterkasten und muslimischen Abgeordneten machten gemeinsame Front – die Männerbastion Parlament wirksam schützen.
Die Nukleartests vom Mai hatten das Ziel, mit dem Indien-Bild eines schwachen Landes aufzuräumen und die Volksmehrheit hinter die Architekten einer starken Hindu-Kultur zu scharen. Die kurze innenpolitische Euphorie nach den Versuchen verführte die Regierung zur Annahme, genau dies erreicht zu haben.
Doch statt die internationale Ablehnung aufzufangen, verstärkte die Regierung die Isolation mit herausfordernder Rhetorik. Das zögernde Pakistan wurde mit aggressiven Äußerungen in sein eigenes nukleares Abenteuer hineingetrieben. Nun steht Indien auf der Weltbühne als Land da, das nicht weiß, ob es sich stolz zum Klub der bisher immer verteufelten Atommächte schlagen soll oder ob es wieder in seine alte Rolle des Abrüstungsapostels schlüpfen kann.
Die Regierung ist bereit, das Atomtestabkommen CTBT zu unterzeichnen. Aber bisher suchte sie vergeblich nach einem gesichtswahrenden Gegengeschenk, um die öffentliche Meinung, die bisher von allen Parteien auf eine Ablehnung des CTBT eingeschworen wurde, von dessen Vorteilen zu überzeugen. Das diplomatische Verhältnis zu Pakistan hat sich wieder dem Gefrierpunkt genähert. Das verwandelt die sensible Waffenstillstandslinie in Kaschmir umgekehrt in eine heiße Gefechtszone und treibt die Massaker an Zivilisten in die Höhe.
Es ist verständlich, wenn nicht wenige BJP-Politiker sich nach dem Komfort der Oppositionsbänke zurücksehnen. Diese sind aber besetzt. Und die Kongreß- Partei als größte Oppositionsgruppe zeigt kein Interesse, sie gleich wieder aufzugeben. Zwar rufen die ewigen Machtmakler bereits nach einer „Koalition der säkularen Kräfte“, und die Kommunisten wären bereit, eine Kongreß- Regierung zu unterstützen. Aber die neue Kongreß-Vorsitzende Sonia Gandhi muß zuerst ihr eigenes Haus in Ordnung bringen. Sie sieht, daß die Übernahme der Regierung ihr nicht nur Jayalalitha aufbürden würde, sondern rund zwanzig Parteien und zahlreiche unabhängige Abgeordnete – kaum eine schlagkräftige Truppe. Gandhi ist sich offenbar auch noch nicht im klaren, ob sie Parteichefin bleiben will oder sich dem Lockruf des obersten Regierungsamtes allenfalls fügen müßte. Schließlich gibt es Gerüchte, ihre Tochter Priyanka sei schwanger. Böse Stimmen behaupten, dies sei bereits ein Grund, den Fall der Regierung zu verzögern, bis ein kleines Baby von der Wahlplattform lächeln kann. Denn nach dem Ausverkauf des nationalistischen Hindutva-Modells der BJP ist ein bißchen dynastische Nehru-Gandhi-Nostalgie vielleicht wieder attraktiv.
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