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Kapitalismus im Tequila-Rausch

Mexiko verstaatlicht 65 Milliarden Dollar Schulden von Unternehmern. Die können den Staatsfonds nicht bedienen, der ihnen nach der Krise 1995 half  ■ Aus Mexiko Anne Huffschmid

Eine schwarze Liste der besonderen Art versetzt die mexikanische Öffentlichkeit in helle Aufregung: Nicht Menschenrechtler oder korrupte Militärs sind darauf vermerkt, sondern ein paar hundert hochverschuldete Privatunternehmen – deren Rückstände die Regierung nun kurzerhand in öffentliche Schulden umwandeln möchte. Als „Attentat auf die Volkswirtschaft“ bezeichnet die linke Partei der Demokratischen Revolution (PRD), eine der beiden großen Oppositionsparteien im mexikanischen Kongreß, den „unmoralischen“ Coup und kündigte Widerstand an.

Es geht um eine Menge Geld: Die Summe von uneinbringbaren Krediten, die der Staat den Banken abgenommen hat und nun den Steuerzahlern aufbürden will, beläuft sich auf 65 Milliarden Dollar – knapp 15 Prozent des erwarteten Bruttoinlandsprodukts von 1998.

Das Reizwort der Saison heißt Fobaproa (Fondo Bancario de Protección al Ahorro), ein Bankenfonds zum Schutz von Spareinlagen. Das unförmige Kürzel ist ins Zentrum der wirtschaftspolitischen Debatte Mexikos gerückt: Dabei geht es ausnahmsweise nicht um Privatisierung, sondern um die Verstaatlichung von Schulden. Genauer von den Finanzspritzen, mit denen die Regierung nach dem Tequila-Crash im Winter 1994/95 den Kollaps des Finanzsystems verhindern wollte.

Gegründet worden war Fobaproa schon 1990 als Fonds zum Schutz von Spareinlagen, der ursprünglich durch die – damals noch staatlichen – Banken finanziert wurde. Die angesammelten Fonds- Ressourcen aber wurden schon 1994 komplett ausgegeben, als zwei der frisch privatisierten Großbanken bankrott gingen. Der Währungskollaps Ende 1994 hatte zur Folge, daß die Zinsen in die Höhe schnellten und Zehntausende von Kreditnehmern ihren Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen konnten. Den Banken ging das Geld aus. So entschloß sich die Regierung, den Kreditinsituten via Fobaproa zu helfen. Der kleine Schönheitsfehler: Die Kassen des Fonds waren leergeräumt, so daß Staatsgelder zur Bankenrettung mobilisiert wurden.

Kritiker monieren heute, daß damals nicht die überschuldeten Sparer direkt und statt dessen die Banken entlastet wurden. Diese bekamen von Fobaproa für jeden Peso zur Eigenkapitalbildung via Schuldschein zwei Pesos ihrer faulen Kredite abgenommen. Bis zum Ende des Jahres werden sich diese Schuldverschreibungen voraussichtlich auf 600 Milliarden Pesos belaufen. Dabei hatte Präsident Zedillo vor zwei Jahren die Kosten für die Bankensanierung noch auf gerade mal 180 Milliarden Pesos beziffert. Im Frühjahr nun reichte der Präsident eine Initiative ein, die die Umwandlung der Fobaproa-Passiva in öffentliche Schulden vorsieht.

Vertreter der Opposition mußten den Schleier der Diskretion lüften, den die Regierung unter Berufung auf das Bankgeheimnis über den Fonds geworfen hatte. Oppositionsführer Andres Manuel López Obrador erstellte eine Auflistung mit über 300 Firmen und Privatpersonen, deren Großkredite 1995 und 1996 von Fobaproa übernommen worden waren. Seither ist la lista in aller Munde, denn möglicherweise könnten auf weiteren schwarzen Listen auch Regierungsfunktionäre stehen. Unter den angeblich zahlungsunfähigen Industriellen finden sich auch die Namen von Magnaten, die auf der alljährlichen Superreichen-Liste des US-amerikanischen Forbes-Magazins ganz vorne rangieren. Mehr als einer der Aufgelisteten gehört zudem zum engen Kreis derjenigen Wirtschaftsbosse, die Ende 1993 den Präsidentschaftswahlkampf der PRI finanziert hatten. Ein weiteres Beispiel für diese Spendentradition sind die Eigenkredite des Ex- Bankiers Carlos Cabal Peniche: Der ehemalige Eigentümer von Banco Union – der seit über drei Jahren wegen illegaler Machenschaften gesucht wird – hat vor Jahren Briefkastenfirmen gegründet, die von der eigenen Bank Kredite bekamen und diese als Spenden an Regionalbüros der PRI weiterleiteten. Banco Union steht auch auf der Fobaproa-Liste. Cabal Peniche allerdings ist weiter unauffindbar.

La lista hat allerorten zu heftigen Reaktionen geführt. Dabei liegt für Großunternehmer und Finanziers der eigentliche Skandal nicht im „was“, sondern im „daß“ der Veröffentlichung. Das Bankgeheimnis sei verletzt worden, heißt es aus Unternehmerverbänden und Bankenvereinigungen. Verleumdungsklagen werden angekündigt, prominente Industrielle warnen vor Kapitalflucht und einer „drohenden Hexenjagd“ auf Unternehmer.

Doch selbst manche Vertreter der rechtsliberalen Unternehmerpartei PAN sehen das anders. Der Fobaproa-Skandal sei eine „perfekte Zusammenfassung und ein Spiegel des politischen Systems“, sagt der PAN-Abgeordnete Santiago Creel. Deutlich daran würden vor allem „Wilkür, fehlende Transparenz, Korruption und bürgerferne Entscheidungen“. Als Bilderbuch-Beispiel für die „perverse Symbiose“ zwischen den politischen und wirtschaftlichen Eliten des Landes wertete der PRD-Abgeordnete Alfonso Ramirez Cuéllar den Fall. Ökonom Antonio Gershenson beklagt die doppelte Moral des regierungsamtlichen Schuldenmanagements: Während Großschuldner großzügige Finanzhilfen in Anspruch nehmen konnten, seien viele kleinere Schuldner niemals aus dem Teufelskreis der Verschuldung herausgekommen. Dabei könnten deren Rückstände durch einen speziellen Haushaltsposten übernommen werden. Eine solche Nothilfe würde kurzfristig auch den Banken wieder zu mehr Liquidität verhelfen, mittelfristig soll allerdings auch ein Teil der künftigen Bankgewinne zur Schuldentilgung gepfändet werden. Sonderlich lohnend war der milliardenschwere Sanierungsversuch ohnehin nicht: Noch 1997 waren vier Fünftel der Kredite bei mexikanischen Banken überfällig.

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