Die Wolga – der Vielvölkerfluß

■ Wie es sich lebt am längsten Fluß Europas, zeigt ein Bildband aus dem Bruckmann Verlag. Nebenbei erfährt man eine Menge über die Geschichte des Vielvölkerstaats Rußland

Eines seiner schönsten Gedichte hat der russische Lyriker Jewgenij Jewtuschenko „In den zwei Wolgas Deiner Augen“ genannt, es ist jedoch nicht das einzige, das er dem größten Fluß Europas gewidmet hat. Fasziniert von der trägen Größe dieses mächtigen Wassers, verbrachte er sein halbes Leben dort und mit ihm Millionen von Menschen.

Nicht nur Poeten hat der 3.688 Kilometer lange Fluß von jeher angezogen, vor allem waren es Händler, die sich auf den Weg machten, um auf abenteuerlichen Wegen das Kaspische Meer zu erreichen.

Früher wie heute gibt es auf dem Weg der Wolga viel Spannendes zu entdecken, nicht zuletzt wird eine Fahrt auf ihr wie eine Reise durch die russische Geschichte. Autorin Adelheid Rabus dokumentiert im Bildband „Die Wolga – Leben am längsten Fluß Europas“ ausführlich Alltagsgeschichten und Historie am Ufer des Stroms. Von der sumpfigen Landschaft westlich von Moskau, in der die Wolga entspringt, bis zur Wüstenstadt Astrachan am Wolgadelta führen ihre Beschreibungen des Vielvölkerflusses.

Lebendig werden die Portraits der Tartaren, Wolga-Deutschen oder Wolga-Bulgaren durch die eindrucksvollen Fotos von Gregor M. Schmid, der sich vor allem auf Märkten, Festen und in Privathäusern umgesehen hat. Daß in Astrachan die Hautevolee ihre gestylten Kinder gerne zu Tanzturnieren schickt oder die Nachfolger Dschingis-Khans, die Kalmücken, heute wieder dem buddhistischen Glauben nachgehen dürfen, hat Schmid offensichtlich fasziniert.

Neben Natur macht der Bildband auch Industrie und Umweltverschmutzung zum Thema. So liegt eine der größten Autofabriken der Welt mit rund 100.000 Beschäftigten an der flachen Uferregion gegenüber den Togliatti-Bergen. Dort wird seit 1970 der „Schiguli“, eine Art russischer Fiat, gebaut. Ganz in der Nähe in Samara befindet sich der „Stalinbunker“, eine Kommandozentrale in 37 Meter Tiefe. Nachdem 1941 die deutsche Armee in die Sowjetunion einmarschiert war, siedelte die gesamte Regierung dorthin um.

Nicht zuletzt ist das Buch auch den Bewohnern des Flusses selbst gewidmet. Text und Bilder erzählen vom Schicksal des Störs, der mitterweile wegen Umweltverschmutzung und überfischung zu den bedrohten Tierarten gehört und dessen Eier so begehrt sind, daß sie hoch gehandelt werden.

Am Ende der Wolga wartet jedoch noch eine Kostbarkeit ganz anderer Art auf den Besucher. Dreimal im Jahr ist das Meer vor dem Flußdelta der Wolga von unzähligen Lotosblumen geschmückt. Ein schönes Abschiedsgeschenk für diesen mächtigen Fluß. Christine Berger

„Die Wolga – Leben am längsten Strom Europas“. Mit Fotos von Gregor M. Schmid und Texten von Adelheid Rabus. 160 Seiten, 159 Abbildungen, Bruckmann Verlag, München 1997, 68 Mark