piwik no script img

Rußland kann nichts für Rubel tun

Zentralbank gibt den Rubel frei. Ministerpräsident Kirijenko: Krise erst am Anfang. Russische Aktien fallen erneut um acht Prozent, deutsche Aktien folgen  ■ Aus Moskau Barbara Kerneck

Das Unterhaus des russischen Parlamentes unterbrach am Freitag seine Ferien für eine Sondersitzung angesichts der akuten Wirtschaftskrise. Gleich zum Auftakt räumte Ministerpräsident Kirijenko ein, daß Rußland erst am Anfang der Krise stehe. Mit frischen Kräften wiederholten darauf viele Fraktionen ihre alte Forderung nach einem Rücktritt Präsident Jelzins. Gleichzeitig gab die russische Zentralbank den Rubel frei: Sie habe nicht mehr genug Devisen, um den Rubel zu stützen, und werde dies nunmehr den Kräften des freien Marktes überlassen, erklärte die Zentralbank.

Ensprechend überstieg der Rubel gestern um den Bruchteil einer Kopeke die von vielen Kommentatoren als „psychologische Grenze“ bezeichnete Barriere von sieben Rubel pro Dollar. Auch die Moskauer Börse verbuchte wieder kräftige Verluste: Der RTS-Interfax-Index verlor gestern bis zum Nachmittag erneut fast acht Prozent und schrumpfte damit auf ein Fünftel seines Wertes zu Jahresbeginn. In Mitleidenschaft gezogen wurden auch die deutschen Aktien, vor allem die deutschen Banken, die russischen Institutionen hohe Kredite gegeben haben. Trotzdem schloß Bundeskanzler Kohl gestern weitere Kredite für Rußland aus: „Wir haben unseren russischen Freunden klipp und und klar gesagt, daß sich die Frage neuer Kredite derzeit nicht stellt.“

Bereits am Donnerstag hatte der stellvertretende Vorsitzende der Zentralbank, Sergej Alexaschenko, erklärt, Hunderte russischer Banken könnten bereits in den allernächsten Tagen Bankrott machen: „Es ist ziemlich klar, daß auch einige der 20 führenden Banken Rußlands darunter sein werden“, sagte er. Der russische Finanzmarkt ist gelähmt, weil Regierung und Zentralbank – entgegen ihrem Versprechen – bislang nicht erklärten, auf welche Weise die per Dekret eingefrorenen kurzfristigen Staatsanleihen („T-Bills“) restrukturiert werden sollen. Sie bildeten einen wesentlichen Teil des Kapitals der russischen Banken.

„Es klingt paradox, aber diese Verunsicherung könnte für unsere Machthaber sogar von Vorteil sein“, schrieb dazu die Tageszeitung Kommersant: „Nächste Woche wird man die toten Banken von den lebendigen schon mit unbewaffnetem Auge unterscheiden können. Und man wird keine Mittel für die Sanierung von ohnehin nicht mehr lebensfähigen Banken verschwenden müssen.“

Für Privatpersonen hielt Zentralbankchef Dubinin einen Trostpreis bereit: Sie könnten ihre Konten von jeder beliebigen Bank in die staatliche Sparkasse verlegen, die ihnen ihre Ersparnisse garantiere. Experten halten dies angesichts der begrenzten Reserven der russischen Zentralbank für ein zweifelhaftes Versprechen.

Was wohl die Mehrheit seiner MitbürgerInnen von diesem und anderen finanzpolitischen Schritten der letzten Tage ohnehin denkt, brachte gestern in der Duma Alexander Schochin, Sprecher der Fraktion „Unser Haus Ruland“, auf den Nenner: „Auch wenn die Regierung jetzt die allerbesten Manahmen ergriffe, könnten diese kaum mehr helfen, weil das Mißtrauen der Bevölkerung und der Banken ihr gegenüber schon zu groß ist.“

Zentralbankchef, Premier und Finanzminister hatten während der Debatte keinen leichten Stand. Kaum ein Deputierter fand für sie ein gutes Wort. „Heuchelei, Lüge und Bluff“ bezeichnete der Vorsitzende der liberaldemokratischen Jablko-Fraktion, Grigori Jawlinski, als „Hauptinstrumente der russischen Politik“. Kirijenko verteidigte sich: Alles, was bisher geschehen sei, bilde eine Konsequenz der extrem ineffektiven Politik der vorhergehenden Regierung.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen