piwik no script img

Ein Hauch von Nostalgie

■ Die Parteien steigen in die Bütt. Die CDU begegnet dem prononciert modernen Wahlkampf der SPD mit einer Mischung aus Zuverlässigkeit, Nestwärme und politischem Heimatgefühl.

Einladung zur Abschiedstournee“. Mit dieser Inschrift werben Großplakate auf der Zufahrtsstraße zur Dortmunder Westfalenhalle für die Kundgebung, mit der die CDU gestern den Wahlkampf eröffnet hat. Diese Plakate hat zwar die SPD geklebt, aber auch die Veranstalter selbst sorgen gleich zu Beginn für einen Hauch von Nostalgie. Als Helmut Kohl mit Ehefrau Hannelore den Saal betritt, intoniert das Blasorchester Günnigfeld das Lied, bei dem sich die beiden einst in der Tanzstunde kennengelernt hatten.

Vergangenheit liegt in der Luft. Das Fernsehballett tanzt, an die kahlen Betonwände sind anrührend dilettantisch-ungelenke Parolen gehängt worden: „Rote schreiben rote Zahlen, Schwarze – schwarze Zahlen“ und „Mit Captain Kohl ins nächste Jahrtausend“. So will die CDU der sozialdemokratischen Herausforderung eines prononciert modernen, rasanten Wahlkampfs mit Multimediashows begegnen?

Ja, gerade so. In Dortmund soll politisches Heimatgefühl, Nestwärme und ein Bewußtsein von Zusammengehörigkeit neben einem Eindruck von Redlichkeit und Zuverlässigkeit erweckt werden. Was Außenstehende als altmodisch empfinden, wirkt auf die eigenen Leute als Garantie der Beständigkeit. Es ist die Basis der CDU, die nach Dortmund gekommen ist, viele von weither in großen Reisenbussen. Der Beifall zeigt es: Hier im Saal muß niemand mehr überzeugt werden, allenfalls motiviert für den Kampf der nächsten fünf Wochen.

Die Distanz zu fetzigem Infotainment ist gewollt: „Es geht nicht darum, wer die beste Show macht, sondern wer die klügste, zukunftweisende Politik macht“, sagt Helmut Kohl. Das Wichtigste „für unser Volk“ sei „Sicherheit und Verläßlichkeit“.

Die Führungsspitze der christdemokratischen Partei zeigt demonstrative Geschlossenheit. Fast der gesamte Vorstand ist gekommen. Vorne links auf dem Podium sitzen drei nebeneinander, die einst mit einem Putschversuch gegen Helmut Kohl gescheitert sind: Lothar Späth, heute erfolgreicher Unternehmer in Ostdeutschland, der sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf und Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth. Hatten sie sich einmal kritisch über Helmut Kohl geäußert? Jetzt applaudieren sie dem Bundeskanzler stehend wie alle anderen auch.

Der Zeitpunkt für Diskussionen über die richtige Strategie im Wahlkampf ist endgültig vorbei. Nun muß Zuversicht und Siegesgewißheit an den Tag gelegt werden. „Wenn wir kämpfen, werden wir gewinnen“, behauptet Kurt Biedenkopf. „Unsere Anhänger sind sich ihrer Sache sicher“, beschwört Fraktionschef Wolfgang Schäuble das Publikum. Den Zuhörern scheint der Widerspruch gar nicht aufzufallen, daß er doch selbst in vielen mahnenden Halbsätzen seiner Ansprache von der Möglichkeit einer Niederlage gesprochen hat. Die Dortmunder Westfalenhalle ist nicht der Ort, wo auf Zwischentöne geachtet wird.

Nichts ist hier von einer Mißstimmung zwischen Kronprinz und Kanzler zu spüren, über die in Bonn schon lange geredet wird. Vor ein paar Tagen hat Schäuble in Düsseldorf auf einer Wahlveranstaltung länger als eine Stunde gesprochen und dabei Helmut Kohl nur ganz selten und die von Generalsekretär Peter Hintze ausgerufene Richtungswahl überhaupt nicht erwähnt. Statt dessen deklinierte der Fraktionschef, der sich mit seinem Wunsch nach einem inhaltlich bestimmten Wahlkampf in der Partei nicht hatte durchsetzen können, politische Sachthemen von der Globalisierung bis zur Nato-Osterweiterung durch. In Dortmund aber preist er die Vorzüge des Kanzlers, und „deshalb setzen wir auf Helmut Kohl“.

Der war gestern der unangefochtene Star des Tages. „Wir haben den besten Mann an der Spitze“, ruft Generalsekretär Peter Hintze. Wer immer das anders sehen mag von denen auf dem Podium oder unten im Saal – er wird es nicht mehr sagen. Mancher kommt auch gar nicht mehr zu Wort. Verteidigungsminister Volker Rühe wird von den Medien gegenwärtig als möglicher Außenminister und Vizekanzler für den Fall einer SPD-geführten Großen Koalition gehandelt. Er hat derlei Spekulationen zwar zurückgewiesen, aber nicht in aller Augen auch mit der gebotenen Empörung. Gestern stand er nicht auf der Rednerliste. Es könnten ja nicht alle reden, meint ein Parteisprecher. „Irgendwo muß ja mal eine Grenze sein.“

Die Grenze in den eigenen Reihen kann Kanzler Helmut Kohl immer noch ziehen. Kann er auch noch immer siegen? Bei politischen Beobachtern kommt dem Regierungschef zugute, daß vor vier Jahren nur wenige geglaubt hatten, er könne es noch einmal packen, und daß er es dann doch wieder geschafft hat. „Es wird doch noch mal spannend“, raunen sich Auguren derzeit zu und erklären den Ausgang des Rennens für völlig offen.

Angesichts des nach Meinungsumfragen scheinbar nach wie vor komfortablen Vorsprungs für Rot- Grün stützt sich diese Ansicht eigentlich nicht auf mehr als den schon festen Glauben, die Bevölkerung werde es sich am Ende schon noch anders überlegen und Geschichte wiederhole sich eben doch.

Dieser kaum rational begründbare Meinungsumschwung der Prognostiker paßt gut zu einem Wahlkampf, der vor allem virtuelle Nachrichten produziert. Erst in der letzten Woche hat Kohl mit der Ankündigung Aufsehen erregt, er berufe mit Lothar Späth einen ehemaligen Intimfeind in ein Amt, das es noch gar nicht gibt und vielleicht nie geben wird. Die Zukunftskommission, der Späth vorstehen soll, wird nur dann gebildet, wenn die jetzige Bundesregierung die Wahlen gewinnt. Wenn es gelingen kann, mit einer solchen Meldung ins Fernsehen zu kommen, dann war es auch ein kluger Schachzug, an diesem Wochenende einen Wahlkampf zu eröffnen, der längst auf vollen Touren läuft. Auch wenn inhaltlich nichts Neues zu erfahren war. Bettina Gaus, Dortmund

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen