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Huldigung an alle Nebensachen

■ In zwei Bilderbüchern für Kinder mit echtem Bremenbezug (siehe „Schule des Lokaljournalismus“ / 4. Lektion) sind die Tiere stets die besseren Menschen

„Bir varmis, bir yokmus, adamin birinin yillardir bikip usanmadan degirmene un cuvallari tasiyan emektar bir yesegi varmis.“ Genau, Sie liegen richtig, soeben haben Sie sich durch den Anfang des Märchens von den Bremer Stadtmusikanten durchbuchstabiert. Auf türkisch. Spätesten beim Durchlesen der beigesellten deutschen Übersetzung fällt es einem wie Schuppen von den Haaren, daß die Geschichte von den vier Tieren, die herzlos ersäuft, erschlagen, aufgefressen werden sollen nur deshalb, weil sie alt, schwach und für die Menschen nutzlos sind, daß diese Geschichte also nur so strotzt vor Gesellschaftskritik. Nichts weniger wird propagiert als das Recht auf Enteignung des Großkapitals. Eine Bedienungsanleitung zur illegalen Hausbesetzung ist gleich mitgeliefert: Die vertriebenen, heimatlosen Stadtmusikanten nisten sich kurzerhand in einem Anwesen ein, das sich im Besitz räuberischer Personen befindet. Aber auch als Parteihymne der Grauen Panther wäre das Märchen höchst geeignet; ermuntert es doch die Generation der Ausgemusterten zur Gegenwehr, zu einem selbstbestimmten Weiterleben in Würde.

Der Einmannbetrieb „Bremer Drucksachen Klaus Stute“ zieht sogar noch eine dritte Lehre aus der bildsamen Story. Eine Sprachenlehre. Sechs verschiedene zweisprachige Varianten (Deutsch und Türkisch/Japanisch/Englisch/Spanisch/Französisch oder sogar kurioses Plattdeutsch) ermöglichen es, das Buch im Fremdsprachenunterricht einzusetzen. Migrantenkids (und Ostfriesen) können gemeinsam mit ihren deutschen Freunden drin herumstöbern. Eine rein deutsche Fassung gibt es auch.

Die Illustrationen der Hamburgerin Eva Maria Johannsen stehen in Bilderrahmen, die aber durch wuchernde Gräser, vorlaute Vögel oder eifrig rotierende Windmühlenräder gesprengt werden. Auch auf formaler Ebene wird den Kids also gezeigt, daß Grenzen dazu da sind, sie lustvoll zu überschreiten. Außerdem schadet es ihnen gar nichts, dezent mit einem Stilmittel hoher, hehrer Kunst konfrontiert zu werden. Und um ein solches handelt es sich eben bei der Hinterfragung des streng abgezirkelten Bildraums. Ansonsten ist der Malstil einfach, ordentlich, also doch deutsch. Klaus Stute nennt's „kindgerecht“. Wahrscheinlich zurecht. Jedes einzelne Lindenblatt bekommt seine wohlgeformte Kurve. Die fällt jedesmal etwas anders aus, ist aber immer mit der gleichen Akuratesse mit Buntstift ausgemalt. Kinder, die so malen, klemmen gemeinhin die Zunge in den Mundwinkel; das nennt man dann Konzentration.

Klar, daß die Tiere Charakter haben; und vor allem: allerbeste Laune. Sobald sie das Menschenpack endlich los sind, werden sie zu Daseinsdadaisten und balancieren Napfkuchen auf dem Kopf. Der Esel mit Dreitagebart und der struppige Hund mit tanzendem Schlappohr und spöttischem Grinsen sind vorbildhaft für jedes/n Lausbuben und –mädchen.

Auch der Bremer Autor Will Gmehling berichtet aus der viel menschlicheren Welt der Tiere. Ein Wolf in der Großstadt ist sein Held. Der denkt nicht im Entferntesten daran, unter Außenseitersorgen zu leiden, sondern schließt blitzschnell Freundschaft mit frischgeföhnten Pudeldamen, einer jungen, chinesischen Kfz-Mechanikerin und anderen typisch-untypischen Stadtgeschöpfen. Er ist überaus hilfsbereit, gibt dem Tauschhandel den Vorzug gegenüber dem Geldverkehr (ein Marxist?), bewährt sich andererseits wacker als tatkräftiger Existenzgründer: Sein Taxiservice für Igel, Störche und Goldfische floriert prächtig. Vielleicht deshalb, weil er für seine Dienste kein Geld verlangt. Statt Beihilfe zu kindlicher Problembewältigung zu leisten, ist dieses Buch eine Art Übung in positive thinking. Ein Igel, der durch umweltverschmutzte Pfützen erkrankt, sticht da regelrecht als reality bit heraus.

Diese entspannte, locker-anekdotisch gestrickte Story verführte Caroline Ronnefeldt zu liebenswerten Bildtüfteleien. Kein Plätzchen, auf dem nicht Leben rumort. Tauben turteln auf einer Litfaßsäule, eine Maus liest ein Buch, relaxed im Schnörkel eines Eisenzauns ruhend. Bis zum Fähnchen auf dem Dach, bis zu Türgriffen in Form von Händen oder den Schrauben der Radabdeckung eines Autos ist diese fröhliche Welt genauestens ausgepinselt. Endlich wissen wir auch wie die Flakons von Hundeparfüm aussehen könnten und welche Hutmoden Kamele favorisieren.

Und manchmal erlaubt sich die Malerin einen Fantasieüberschuß gegenüber dem Text. In Wolfes Badewanne schwimmt ein kleiner Hai und Frösche machen im Freien Frühgymnastik. Eine Huldigung an die Nebensächlichkeiten dieser Welt. Leicht hingeworfen wirken die Konturen, als hätte die Malerin ein Gummihandgelenk. Luftig fließt pastellige Farbe über die filigrane Zeichnung. Da gibt es unendlich viel zu entdecken. Stundenlang werden sich die Kids in die Bilder vergucken, sich in Geduld üben. Die bemitleidenswerten Eltern wohl zwangsläufig auch. Für beide eine Schule der Gründlichkeit in videoflimmrigen Zeiten; falls man auf ein Stück Pädagogik dann doch Wert legen sollte.

Barbara Kern

Die Bremer Stadtmusikanten. Illustration von Eva Maria Johannsen Verlag Bremer Drucksachen. 27 S. 19.80 DM

Will Gmehling/Caroline Ronnefeldt: TierTaxi Wolf & Co. Verlag Sauerländer. 56 S. 29.80 Mark

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