: Wirkliche und erfundene Agenten in der DDR
■ Karl Wilhelm Fricke und Roger Engelmann behandeln in einer minutiösen Recherche ein dunkles Kapitel des deutschen Realsozialismus. Soll man die Spione Gehlens rehabilitieren?
Das neue Buch von Karl Wilhelm Fricke und Roger Engelmann ist eine der nicht gerade zahlreichen seriösen Veröffentlichungen zum Thema Regimekritik und Spionage in der DDR. Dabei geht es nicht ausschließlich um Agenten, sondern auch um Menschen, denen nur unterstellt wurde „Spione“ zu sein. Den Autoren ist ein Meisterstück gelungen.
Das Buch „Konzentrierte Schläge“ behandelt Staatssicherheitsaktionen, politische Prozesse und ihre Opfer in der Mitte der 50er Jahre. Zwischen dem Tod Stalins am 5. März 1953 und dem XX. Parteitag der KPdSU 1956 erlebte die DDR eine ihrer schärfsten Repressionswellen. Da die SED ihre eigene Verantwortung für den zu großen Teilen von Arbeitern getragenen Aufstand am 17. Juni 1953 nicht zugeben konnte, behauptete sie, er sei im Westen geplant und von „Agenten“ ausgeführt worden. Den Volksaufstand erklärte sie zum „faschistischen Putschversuch“.
Diese propagandistische Umdeutung der Rebellion für freie Wahlen und Wiedervereinigung hatte ernste staatssicherheitspolitische Folgen. Da die SED schnelle „operative Erfolge“ bei der Enttarnung von „Feindzentralen“ und deren Wirken in der DDR erwartete, um die geheimdienstliche Steuerung des 17. Juni zu belegen, beendete der neue Staatssicherheitsschef Wollweber die eher bedachtsame Ermittlungsstragegie seines Vorgängers Zaisser.
Wo keine Agenten waren, mußten sie eben gefunden, gegebenenfalls erfunden werden. Dies war der Sinn der „konzentrierten Schläge“ gegen aktive Regimegegner, denen Kontakte zu den Ostbüros der bundesdeutschen Parteien, dem Untersuchungsausschuß freiheitlicher Juristen (UfJ), der Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU), dem Rundfunk im amerikanischen Sektor (RIAS) und westlichen Geheimdiensten vorgeworfen wurden.
Neben der offensiven Verfolgung bis hin zu Entführungen betrieb Wollweber jetzt auch umfangreiche Aktivitäten zur „Popularisierung“ der Arbeit seines „Dienstes“. Der Eindruck der Willkür sollte verwischt werden. So wurden Regimegegner in Schauprozessen der Spionage bezichtigt, um die These vom „faschistischen Putschversuch“ zu belegen und gleichzeitig die Notwendigkeit harter Repression zu begründen: „Die Angeklagten hatten gleichsam als Medien zu dienen, mit deren Hilfe Agitation und Propaganda der SED transportiert werden sollten.“
Das Schicksal, von SED und MfS zum faschistischen Agenten „präpariert“ zu werden, kennt der bedeutendste Kenner und Historiker der DDR-Verfolgungs- und Oppositionsgeschichte, Fricke, aus eigenem Erleben. Der Journalist und Wissenschaftler war im Rahmen der Stasi-Aktion „Blitz“ am 1. April 1955 selbst aus West-Berlin entführt worden. Aus beruflichen Gründen hielt er damals Kontakte zum ehemals prominenten Kommunisten Erich Wollenberg und dessen Freunden. Das MfS beurteilte die Verbindung als „trotzkistische Gruppe“ und suchte Frickes journalistische Vorhaben, die sich zum Beispiel mit dem sowjetischen Speziallager auf dem Gelände des KZ Buchenwald beschäftigten, zu unterbinden und seine Informationsquellen zu kappen. Obwohl der Vorwurf der Agententätigkeit nicht belegt werden konnte, wurden die Kontakte Frickes zum Untersuchungsausschuß freiheitlicher Juristen und der Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit als „Spionage“ und „Kriegshetze“ bezeichnet, er selbst wegen dieser erfundenen Vergehen zu vier Jahren Haft in Bautzen verurteilt.
Freilich beschreibt das Buch neben dem „Spion“ Fricke auch tatsächliche Agenten. So zum Beispiel Werner Haase, damals Leiter der Filiale 120 D der Organisation Gehlen in West-Berlin. Er war bei der Verlegung eines Telefonkabels von West- nach Ost-Berlin erwischt worden, angeklagt wurde er mit sechs weiteren Menschen aus der DDR, die sich im Gerichtssaal zum ersten Mal begegneten.
Der Schauprozeß, der teilweise lebenslange Strafen brachte, diente dem MfS zur öffentlichen Darstellung seiner Kenntnisse des Geheimdiensts Gehlens. Die Absicht, den Angeklagten eine „inspirierende Rolle“ beim 17. Juni nachzuweisen, schlug aber gründlich fehl. In den meisten Fällen mußte das Gericht den Angeklagten sogar als Motiv ihrer Zuarbeit zur Organisation Gehlen „Feindschaft gegenüber der Deutschen Demokratischen Republik“ attestieren und sie damit als politische Gegner anerkennen.
Die Botschaft des Buches ist in solchen Geschichten enthalten. In minutiöser Detailrecherche verhandeln Fricke und Engelmann zehn Fallbeispiele, in denen vermeintliche „Spionage“ und wirkliche Agententätigkeit als Teil des antikommunistischen Widerstandes in der DDR der 50er Jahre sichtbar gemacht werden. Die Sammlung von Nachrichten in der DDR war illegal, gleichgültig, ob sie für einen Nachrichtendienst oder eine oppositionelle Gruppe betrieben wurde. Darüber hinaus gab es auch Menschen, die ihre Zusammenarbeit mit einem westlichen Geheimdienst als Widerstand begriffen.
Die Autoren plädieren insofern für eine Rehabilitierung der Menschen, die von SED und MfS zu „faschistischen Agenten“ herabgewürdigt wurden. Den Mißbrauch politischer Motive von Oppositionellen aus der DDR für westliche Geheimdienste unterschlagen sie dabei nicht. Das Buch ist nicht nur ein Meisterstück, es ist ein Stich ins Wespennest. Martin Jander
Karl Wilhelm Fricke, Roger Engelmann: „Konzentrierte Schläge“. Staatssicherheitsaktionen und politische Prozesse in der DDR 1953–1956, Berlin 1998, Christoph Links Verlag, 360 S.38 DM
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