Kolumbiens Frieden will verhandelt sein

■ Die kolumbianische Regierung unter Präsident Andrés Pastrana nimmt in Genf direkte Verhandlungen mit den Guerilla-Verbänden auf

Berlin (taz) – In einem halben Jahr könne der Frieden beschlossene Sache sein, meinte Kolumbiens Präsident Andrés Pastrana noch optimistisch vor seinem Amtsantritt. Vor Wochenfrist hat ein heftiges Gefecht zwischen Einheiten der FARC (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens) mit rund 100 Toten endgültig klargemacht: Nicht um einen baldigen Waffenstillstand oder gar die Entwaffnung der Rebellen geht es derzeit, sondern um Verhandlungen inmitten des Krieges.

Seit gestern trifft sich Pastranas Friedensbeauftragter Victor Ricardo in Genf mit FARC-Unterhändler Raúl Reyes und mit Pablo Beltrán von der zweitgrößten Guerilla ELN. Beltrán hatte Mitte Juli bei den Verhandlungen mit der „Zivilgesellschaft“ in Deutschland die Marschroute vorgegeben. Ebenfalls in Genf verhandelt die ELN mit einer Parlamentarierkommission über die Freilassung eines Senators.

Die beiden Guerillagruppen hatten bereits bei ihrer Entstehung in den sechziger Jahren unterschiedliche Vorgeschichten und Ansätze: Während die ELN stark studentisch gesprägt war und, ausgehend von der Provinz Santander, Che Guevaras Fokustheorie im ganzen Land umsetzen wollte, knüpften die FARC an die kommunistischen Selbstverwaltungsstrukturen an, die sich im Süden Kolumbiens über Jahrzehnte herausgebildet hatten. FARC-Chef „Tirofijo“ ging bereits 1949 in den Untergrund, als in Bogotá ein konservatives Kriegsregime herrschte.

In den letzten 15 Jahren sind beide Verbände – daneben agieren noch Splittergruppen des ursprünglich maoistischen „Volksbefreiungsheeres“ EPL und der undogmatisch-populistischen M-19 – zu einem militärischen Machtfaktor herangewachsen. Nach geduldiger Aufbauarbeit haben die FARC den qualitativen Sprung vom Guerillakampf zum regulären Bewegungskrieg in Bataillonsstärke vollzogen und in demoralisierenden Attacken ganze Armeeeinheiten aufgerieben.

Auch die rechten paramilitärischen Banden haben kürzlich ein Abkommen mit Vertretern der „Zivilgesellschaft“ unterzeichnet, das ihr Chef Carlos Castaño freilich schon wieder öffentlich zurückgenommen hat. Die Zivilbevölkerung, MenschenrechtlerInnen und andere AktivistInnen sind wieder zum Abschuß freigegeben.

Die Paramilitärs haben sich in der Atlantikregion in den neunziger Jahren zur beherrschenden Kraft gemausert und setzen dort vor allem der ELN stark zu. Die Guerilla wehrt sich gegen einen gemeinsamen Friedenstisch mit den Paramilitärs; mit einigem Recht verweist sie auf deren Unterstützung durch Militärs und Großgrundbesitzer und fordert von der Regierung, diese zu unterbinden.

Mit dem Genfer Treffen will Pastrana seine Führungsrolle unterstreichen. Sein Blitzbesuch bei „Tirofijo“ vor sieben Wochen war eine Anerkennung des Hauptgegners; die bunte Mischung „Zivilgesellschaft“ ließ er in Himmelspforten gewähren.

Jetzt allerdings kritisierte Verteidigungsminister Rodrigo Lloreda das in Deutschland ausgehandelte Abkommen mit der ELN als unzureichend und für die Regierung nicht bindend. Das Internationale Völkerrecht dürfe nicht selektiv interpretiert werden; Entführungen oder Anschläge auf Ölpipelines sollten prinzipiell unterbleiben. Die ELN wiederum hält verbal am Abkommen fest.

Die Genfer Gespräche können ein weiterer Schritt in Richtung Frieden werden, doch der – da sind sich Regierung und Guerilla einig – kann nur über echte politische und soziale Reformen erreicht werden: Ende der Straffreiheit, Agrarreform, Garantien für eine zivile Opposition. Darüber soll in Kolumbien verhandelt werden. Auch wenn alles glatt läuft, wird der Prozeß dauern – länger als sechs Monate. Doch pragmatisch, wie sie sind, haben die FARC-Strategen bereits vorgeschlagen, ihre Kämpfer sollten dereinst in ein gemeinsames kolumbianisches Heer integriert werden. Gerhard Dilger