: „Es“ still aushalten
Musik am Rand der Systeme: Der „Klangkrieg“ feiert eine CD- Veröffentlichung mit einer Coverausstellung ■ Von Gerrit Bartels
Ihr Name klingt martialisch, und sie sind tatsächlich nichts für zartbesaitete Gemüter: die monatlich auf der Treptower Insel stattfindenden musikalischen Events, die als sogenannte Klangkriege ihren Eingang in das Lexikon der Berliner Subkultur gefunden haben und ab heute zum erstenmal auch auf Tonträger zu hören sind (zumindest in Teilen). Den Krieger als solchen möchte man im Klangkrieg- Headquarter allerdings nicht als Zerstörer und Mörder definieren. Sondern als jemand, der unbekanntes Terrain betritt, der auszieht, um Neues zu entdecken. Janet Krenzlin und Christoph Winkler, den beiden Erfindern und Drahtziehern des Klangkriegs, ging es beim Start vor zwei Jahren „um Musik von den Rändern des Systems, um extreme urbane Musik- und Geräuschkonzepte“. Mit anderen Worten: um Irritationen, um das Aufbrechen von eingefahrenen Strukturen, um Konstruktionen neuer Zusammenhänge, um Neudefinitionen.
So traten und treten auf der Insel unter dem Klangkrieg-Logo zum einen Musiker und Bands auf, für die Noise ästhetisch und politisches Programm zugleich bedeutet: Merzbow, Oxbow, Alboth!, Scorn, Sonic Subjunkies oder Bomb 20. Zum anderen feierte man Partys, bei denen auf allen drei Ebenen der Insel die unterschiedlichsten radikalen Sounds zu hören waren.
Nicht Harmonie wollte man stiften, der extreme Klang sollte vielmehr den „unaufhaltsamen Fortschrtitt des Wahnsinns“ reflektieren, wie Christoph Winkler das ausdrückt: „Die Klangkriegtänzer stehen meist still und halten „es“ aus“. Nun ja. Wer da anderes erwartete, hatte sich gewaltig geschnitten, mußte heimgehen und sich bei ein paar Ambient-Platten wieder entspannen.
Manchmal gewollt, manchmal zufällig ergab es sich dann, daß Musiker aus den verschiedensten Sound- und Kulturkreisen gegeneinander oder miteinander antraten: Beispielsweise traf unser aller liebster Aufrührer und Rebell, Berlins Nazijäger Nummer eins, Alec Empire, auf den japanischen Noise- Avantgardisten Akifumi Nakajama alias Aube. Da sorgte der eine für Beats und Sounds, während der andere eine ganze Anzahl unterschiedlichster und obskurster Effekte beisteuerte. Oder es schnitten die englischen Breakbeat- und Postrock-Künstler Third Eye Foundation ihre Beats zu Obertongesängen des Budapester Sängers Paisz Miklasz. Das paßte und paßte nicht, war aber oft einigermaßen bewußtseins- und klangerweiternd!
Dafür, daß diese „Sound- Clashs“ nicht nur Erfahrungsvorsprung und mentales Eigentum der seinerzeit Anwesenden bleiben, wollen Winkler und Krenzlin nun mit der Veröffentlichung der ersten Klangkrieg-CD sorgen. Hier finden sich unter dem sinnigen Titel „Hard Bodies“ Live-Mitschnitte und Exklusivaufnahmen von u.a. Scanner, Third Eye Foundation, Black Lung oder eben Aube und Alec Empire. Und ganz im Sinne von Aube, der in Interviews gern spekuliert, ob sein Sound nun Musik oder Kunst sei und es vielleicht wirklich nur um „Design und Verpackung von Sounds“ gehe, hat man sich für die heute in der Galerie Radio Berlin stattfindende Record- Release-Party ein ganz besonderes Schmankerl ausgedacht: Die Cover der ersten 400 der auf vorerst 1.000 Exemplare limitierten CD wurden jeweils von verschiedensten Künstlern entworfen, u.a. von Die Gestalten, Jim Avignon, Dag, Evelyn, 4000, Pentaklon und Aroma Informationsdesign. Klar, daß dabei die Form der Cover nur selten der herkömmlichen Norm entspricht, klar, daß die Cover bunt, witzig und toll sind. Und genauso klar, daß diese Cover erst mal ausgestellt, bewundert und bestaunt werden wollen, bevor sie in fremde Plattenschränke wandern. Neben Vernissage und Party gibt es übrigens noch einen Live- Auftritt von Keramik, einer Sängerin, deren Musik als „Portishead auf 45“ ganz gut beschrieben ist. Gerrit Bartels
Ab 19 Uhr in der Galerie Radio Berlin, Veteranenstraße 22, Mitte. Ausstellungstage (immer mit DJs und Live-Acts!): 27.8.–29.8., 1.9. sowie 3.9.–5.9.
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